Im Weiteren werden wir uns jetzt mit dem Stand der Rechtsprechung zur Einsicht in die genannten Messunterlagen vertraut machen. Ich werde paradigmatisch das Messfoto als typischen Aktenbestandteil einerseits und die Bedienungsanleitung als eine in der Regel nicht zu den Akten genommene Informationsquelle andererseits behandeln; die weiteren Messunterlagen folgen dem dabei gewonnenen Schema. Einen untauglichen Versuch, anwaltliche Neugierde im Keim zu ersticken, gilt es vorab zurückzuweisen: Zwar handelt es sich bei den hier in Rede stehenden technischen Messungen um standardisierte Messverfahren, deren Anerkennung die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden vorgeschaltet ist. Zweifelsohne gehen der Bauartzulassung umfangreiche fachkundige Prüfungen der PTB voraus; die Zuerkennung der Eichfähigkeit hat, wie bereits mehrfach hervorgehoben, die Funktion einer vorweggenommenen Richtigkeitskontrolle. Wer allein hierauf abstellt, verengt jedoch den Blick auf die abstrakte technische Seite des Messverfahrens – und verfehlt zugleich selbst diese partiell. Die wiederholte Überarbeitung der Software für verschiedene Messgeräte diente ersichtlich jedenfalls in dem einen oder anderen Fall der Beseitigung aufgetretener Probleme, etwa was die Zuordnung des Messwerts zum Tatfahrzeug betrifft. Schon dieser Befund rechtfertigt es, die Ermittlung des Messwerts und dessen Zuordnung im konkreten Einzelfall "auf Herz und Nieren" nachzuprüfen. Hinzu kommt – und das ist entscheidend –, dass Vorliegen und Ergebnis eines standardisierten Messverfahrens von der Sorgfalt und fehlerfreien Arbeit des Messpersonals abhängen. Bekanntlich gibt es weder eine Bauartzulassung für Polizisten noch eine Eichung für Messbeamte. Der Hinweis auf die amtlichen Prüfungen ist also nicht geeignet, das berechtigte Interesse der Verteidigung an Information über Grundlagen und Abläufe der konkreten Messung zu beseitigen.
1. Einfach sollte die Rechtslage in Bezug auf das Messfoto sein; gleichwohl werden immer wieder Entscheidungen bekannt, die aufzeigen, dass auch hier gelegentlich Probleme auftreten: Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte schon im Jahr 1990 entschieden, dass die Aufzeichnung eines bestimmten Verkehrsverstoßes Bestandteil der gegen den Betroffenen geführten Akten ist. Daher unterliegen die ihn betreffenden Messfotos oder Abschnitte auf einem Videoband dem Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht nach § 147 Abs. 1 StPO. Bei Tatfotos muss er sich nicht auf Reproduktionen in Papierform verweisen lassen. Das originäre Beweismittel wird im Allgemeinen eine digitale Aufnahme sein; hierauf bezieht sich das Einsichtsrecht. Die Originalaufnahme kann freilich schon wegen der Gefahr des Verlusts nicht übersandt werden. Andererseits handelt es sich bei den von der Polizei oder Verwaltungsbehörde angefertigten Lichtbildern oder Videobändern nicht um amtlich verwahrte Beweisstücke, so dass die gesetzliche Beschränkung der Besichtigung in § 147 Abs. 4 StPO auf den Verwahrungsort nicht eingreift. Gleichwohl begrenzen offenbar gelegentlich die für die Gewährung von Akteneinsicht im Vor- und Zwischenverfahren zuständigen Bußgeldbehörden die Einsicht auf die Räume der Dienststelle. Nach der in der Literatur angegriffenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht in der Tat kein Anspruch auf Akteneinsicht in der Kanzlei, auf Überlassung oder Übersendung der Akten oder auf Anfertigung von Kopien. Dies hat das Bayerische Oberste Landesgericht in der besagten Entscheidung freilich für Bußgeldsachen modifiziert; bei unzumutbar weiter Anreise ist eine Kopie zu übersenden. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 14.9.2011 die Versagung der Übersendung von Strafakten an einen ortsansässigen Verteidiger auf Willkür überprüft und dies in concreto bejaht. Für unser Thema heißt das: Angesichts der zentralen Bedeutung des Messfotos für den Tatnachweis, sei es, dass es um die Identifizierung des Fahrers geht, sei es, dass das Bild zur Überprüfung der Fehlerfreiheit der Messung herangezogen werden soll, ist kaum eine Situation vorstellbar, in welcher selbst der ortsansässige Verteidiger willkürfrei auf eine Einsicht in das Foto auf einer Dienststelle verwiesen werden könnte. So muss er, ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen, z.B. prüfen können, ob sich das abgebildete Fahrzeug auf dem Messfoto in einer korrekten Position relativ zum Auswerterahmen bei PoliScan speed befindet, ob das Fahrzeug von der sogenannten logischen Fahrzeugposition abweicht, ob das von einer Radarmessung erfasste Fahrzeug wegen eines Überholvorgangs schräg fuhr, ob Anhaltspunkte für Reflektions-Fehlmessungen bestehen, ob bei der Messung mit ProViDa in der Betriebsart MAN die Zeit- und Wegemessung jeweils an den identischen Punkten begonnen und beendet wurde, ob sich das nachfahrende ProViDa-Motorrad in Schräglage oder mehrere Fahrzeuge im "messwirksamen" Bereich befanden, ob besonde...