a) In der Straßenverkehrsordnung gibt es nur wenige Vorschriften, die regeln, was Fußgänger im Straßenverkehr zu beachten haben. Die wichtigste Norm für Fußgänger ist wohl § 25 Abs. 1 StVO. Dort heißt es: "Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen. Auf der Fahrbahn darf nur gegangen werden, wenn die Straße weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen hat. …"
§ 25 Abs. 3 StVO regelt das Überqueren von Fahrbahnen: "Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten, und zwar, wenn die Verkehrslage es erfordert, nur an Kreuzungen oder Einmündungen, an Lichtzeichenanlagen innerhalb von Markierungen oder auf Fußgängerüberwegen (Zeichen 293). Wird die Fahrbahn an Kreuzungen oder Einmündungen überschritten, sind dort vorhandene Fußgängerüberwege oder Markierungen an Lichtzeichenanlagen stets zu benutzen."
Fußgänger müssen also grundsätzlich vorhandene Gehwege benutzen. Fahrbahnen dürfen sie nur in Ausnahmefällen betreten. Dagegen müssen Fahrzeuge nach § 2 Abs. 1 StVO die Fahrbahn benutzen. Aus dem Zusammenspiel dieser Vorschriften folgt, dass auf Fahrbahnen Fahrzeuge grundsätzlich Vorrang vor Fußgängern haben.
Etwas anderes gilt, wenn Fahrzeuge abbiegen, denn in § 9 Abs. 3 StVO heißt es: "… Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten."
Mit dieser Regelung wird dem Fußgänger, der eine Straße im Einmündungsbereich überquert, gegenüber abbiegenden Fahrzeugen eine vorrangähnliche Stellung eingeräumt. Fußgänger haben gegenüber dem Fahrzeugverkehr ferner dann Vorrang, wenn sie die Fahrbahn auf einem Fußgängerüberweg, also auf einem Zebrastreifen (Zeichen 293) überqueren (§ 26 Abs. 1 StVO); ferner auch dann, wenn der Fußgängerverkehr durch eine Lichtzeichenanlage geregelt ist und diese für Fußgänger Grün zeigt (§ 37 StVO).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn, auf der der Fahrzeugverkehr grundsätzlich Vorrang hat, besondere Vorsicht walten lassen. Er muss an nicht besonders vorgesehenen Überquerungsstellen auf den bevorrechtigten Verkehr Rücksicht nehmen und bei Annäherung eines Fahrzeuges warten. Er darf insbesondere nicht versuchen, noch kurz vor einem herannahenden Kraftfahrzeug die Fahrbahn zu überqueren. Er darf eine schmale Fahrbahn nur überqueren, wenn er mit Sicherheit annehmen kann, er werde die andere Straßenseite vor Eintreffen des Fahrzeugs erreichen. Er hat also darauf zu achten, dass er nicht in die Fahrbahn eines Fahrzeugs gerät und dieses behindert. Die Verkehrsteilnehmer auf der Fahrbahn dürfen ihrerseits im Allgemeinen darauf vertrauen, dass ein Fußgänger diese seine Pflichten erfüllen wird. Ohne hinreichende Anhaltspunkte für das Gegenteil brauchen sie daher nicht damit zu rechnen, dass ein Fußgänger trotz herannahenden Verkehrs plötzlich auf die Fahrbahn tritt.
c) Man sollte meinen, damit sei klar, dass, wenn ein Fußgänger auf einer Straße außerhalb einer Einmündung, eines Fußgängerüberwegs oder einer Lichtzeichenanlage von einem Fahrzeug angefahren wird, der Fußgänger den Verkehrsunfall verschuldet haben muss. Das trifft indessen nicht zu, wie folgender Fall zeigt, den der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs kürzlich zu entscheiden hatte.
Eine Fußgängerin wurde im Februar 2009 gegen 20:11 Uhr beim Überqueren einer innerörtlichen Straße von einem Pkw erfasst und schwer verletzt. Die bei ihr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 ‰. Die Fußgängerin begehrte von der Pkw-Fahrerin und -Halterin Ersatz materiellen und immateriellen Schadens, wobei sie eine Mithaftung von 75 % hinnahm. Ihre Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Das OLG Celle meinte, zwar habe sich der Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeugs ereignet, doch habe die Fußgängerin ein Verschulden der Pkw-Fahrerin nicht bewiesen. Das von ihr angebotene unfallanalytische Sachverständigengutachten scheide als Beweismittel aus, weil die notwendigen ausreichend konkreten Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten für die Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht gegeben seien. Zwar könne die Pkw-Fahrerin auch nicht den Unabwendbarkeitsbeweis führen, doch treffe die Fußgängerin ein überwiegendes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Sie habe in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquert, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Das Verschulden der Fußgängerin überwiege dermaßen, dass die Betriebsgefahr dahinter zurücktrete. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Fußgängerin ließ der BGH die Revision zu. Diese hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Im Ansatz war das OLG zutreffend davon ausgegangen, dass die Halterin des Pkw auch ohne den Beweis eines Verschuldens aufgrund der Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeugs für den Schaden gemäß § 7 Abs. 1, § 11 S. 2 StVG einzustehen hat...