StVG § 7 § 17 § 18; StVO § 1 § 8 § 10
Leitsatz
Allein die ausgedehnte Überwachung eines Großparkplatzes reicht für eine analoge Anwendung des § 10 StVO auf den Bereich der Einmündung einer Parkgasse in den umlaufenden Zu- und Abfahrtsweg jedenfalls dann nicht aus, wenn gerade die Parkgassen von der Überdachung ausgenommen sind.
(Leitsatz des Einsenders)
OLG Nürnberg, Urt. v. 28.7.2014 – 14 U 2515/13
Sachverhalt
Der Ehemann der Kl. fuhr mit deren Pkw und der Bekl. zu 1) mit seinem bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw auf dem Großparkplatz eines Einkaufsmarktes. An dessen Zufahrt weist ein Schild auf die Geltung der StVO hin. Über den Parkplatz verläuft eine Reihe von parallelen einspurigen Fahrwegen, an deren beiden Seiten jeweils auf ganzer Länge die Stellplätze nebeneinander angeordnet sind. Der Stellplatzbereich ist – mit Ausnahme der Fahrwege – überdacht. Um den Stellplatzbereich herum führt ein etwa 6 Meter breiter, zur Benutzung freigegebener Fahrweg, der nur der Zu- und Abfahrt dient und in den die eigentlichen Parkgassen einmünden. Als der Bekl. zu 1) aus einer der Parkgassen hinausfuhr, stieß er mit dem Pkw der Kl. zusammen, der auf dem äußeren Fahrweg aus Sicht des Bekl. zu 1) von links kommend, gerade den Einmündungsbereich passierte. Die hierbei der Kl. entstandenen Schäden (Reparaturkosten, Wertminderung, Gutachterkosten und Auslagenpauschale) macht die Kl. mit der Klage geltend. Das LG hat unter entsprechender Anwendung des § 10 StVO eine Haftungsquote der Bekl. von ¾ angenommen. Mit der Berufung verfolgen die Bekl. unter Verneinung der analogen Anwendung des § 10 StVO die Annahme ihrer eigenen Haftungsquote von ½. Die Berufung hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… Die zulässige Berufung ist in ihrem nach der Teil-Rücknahme noch zur Entscheidung offenen Umfang begründet. Der Ansatz einer Haftungsquote der Beklagtenseite von mehr als ½ ist nicht gerechtfertigt, da der Bekl. zu 1) – anders als vom LG angenommen – nicht gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltspflichten verstoßen hat."
1. Die Bekl. sind der Kl. aufgrund des Verkehrsunfalls gesamtschuldnerisch zum Schadensersatz verpflichtet (§ 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG), jedoch nicht über die hälftige Quote hinausgehend, die als Folge der Berufungsbeschränkung noch im Streit ist.
a) Dem Bekl. zu 1) ist keine Missachtung eines aus dem Rechtsgedanken des § 10 StVO abgeleiteten Vorfahrtsrechts anzulasten, sondern nur ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 StVO.
aa) Die Vorschrift des § 10 StVO kann an der in Rede stehenden Unfallstelle nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten keine analoge Anwendung finden.
(1) Gem. § 10 StVO haben diejenigen Verkehrsteilnehmer, die aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren wollen, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Was Fahrspuren auf Parkplätzen betrifft, die grds. nicht dem fließenden Verkehr dienen, sieht die Rspr. nur ausnahmsweise in solchen Fällen Raum für eine analoge Anwendung des § 10 StVO, in denen verschiedene Bereiche des Parkplatzes sich im Verhältnis zueinander nach dem objektiven Erscheinungsbild als über- und untergeordnete Verkehrsflächen darstellen; verleiht die bauliche Gestaltung oder Markierung einer bestimmten Teilfläche – etwa einem Zu- und Abfahrtsweg – einen eindeutigen Straßencharakter, dann sind die angrenzenden Teilflächen – etwa die einzelnen Parkgassen – als (insoweit untergeordnete) “andere Straßenteile‘ einzustufen (vgl. nur OLG Hamm, Urt. v. 6.10.1993 – 13 U 91/93, r+s 1994, 52, juris Rn 6; OLG Köln, Urt. v. 3.12.1998 – 1 U 73/98, MDR 1999, 675, juris Rn 4; KG, Beschl. v. 12.10.2009 – 12 U 233/08, VRS 118, 348, juris Rn 8; jeweils m.w.N.). Ein eindeutiger Straßencharakter einer nur als Zubringer zu den Parkgassen dienenden Teilfläche ist in Fällen bejaht worden, in denen die betreffende Fahrbahn zum einen zweispurig mit Mittellinie gestaltet (KG, a.a.O., juris Rn 9; OLG Köln, a.a.O., juris Rn 5) und zum anderen seitlich durch bauliche Anlagen in Form von kleinen Hecken und Büschen (so im Berliner Fall) bzw. von Straßenlaternen und Betonpflanzkübeln abgegrenzt war (so im Kölner Fall, in dem das Gericht hinsichtlich des Eindrucks der Bevorrechtigung zusätzlich auf eine vorhandene durchgezogene Linie zur Parkgasse abstellte). Demgegenüber spricht eine örtliche Situation, bei der die Fahrbahnoberflächen sich nicht unterscheiden, eine Mittelstreifenmarkierung des Zubringers fehlt und keine deutlichen seitlichen Abgrenzungen vorhanden sind, gegen die Annahme einer Über- und Unterordnung (OLG Hamm, a.a.O., juris Rn 8).
(2) Nach diesen Maßstäben kommt eine analoge Anwendung des § 10 StVO hier nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der übergebenen Lichtbilder von der Unfallstelle und der vom LG anlässlich der Ein...