Sehr problematisch ist die Vorsatzfeststellung bei Abstandsunterschreitungen: Der Richter darf sich nicht darauf beschränken, aus der gemessenen Nähe zum vorausfahrenden Fahrzeug und der gemessenen Geschwindigkeit heraus den Vorsatz anzunehmen, sondern muss zusätzlich entweder eine offensichtliche Gefährdungssituation herausarbeiten oder aus der Verkehrssituation heraus schlussfolgern, dass man diese nur mit voller Aufmerksamkeit beherrschen kann, sich also über die Umstände bewusst sein muss. Eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Nichteinhaltung des Mindestabstandes setzt also eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen voraus und kann in der Regel nicht allein mit dem Ausmaß der Abstandsunterschreitung begründet werden.
Wie auch bei anderen Verstößen ist der Einwand des nötigenden Verhaltens anderer Fahrzeugteilnehmer selten erfolgreich und sorgt oft ungewollt für eine Vorsatzannahme. Grundsätzlich gilt: Der gegen die Vorwerfbarkeit einer auf einer Autobahn festgestellten Unterschreitung des nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO gebotenen Sicherheitsabstands vorgebrachte Einwand, die Abstandsunterschreitung sei durch das gefahrvolle Auffahren des Führers des nachfolgenden Fahrzeugs verursacht worden, ist regelmäßig unbeachtlich, wenn auf der sog. Beobachtungsstrecke ein plötzliches Abbremsen oder ein unerwarteter Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugführers auszuschließen ist. Sollte die Situation so gewesen sein, dass das dem Betroffenen nachfolgende Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt aufschloss, als der Betroffene die Abstandsunterschreitung bereits verwirklicht hatte, lag von vornherein keine Notstandsituation vor. Wird die Behauptung aber wie gezeigt aufgestellt, räumt der Betroffene damit automatisch ein, den Abstand zum voranfahrenden Pkw vorsätzlich unterschritten zu haben. Dies setzt mit der Verdoppelung der Geldbuße und Schwierigkeiten beim Absehen von Fahrverbot noch andere Mechanismen in Gang, so dass der Verteidiger an dieser Stelle äußerst zurückhaltend agieren sollte, wenn das Beweisvideo keine Anzeichen für ein nötigendes oder gefährdendes Fremdverhalten birgt.
Ein Aspekt zur Ergänzung: Grundsätzlich kann die Vorwerfbarkeit einer Abstandsunterschreitung nicht damit begründet werden, der Fahrer habe den Abstand anhand der Fahrbahnmarkierungen erkennen können.