Aufgrund der Möglichkeiten der Art. 11, 9 Abs. 1 Nr. 1a EuGVVO = Brüssel I-VO (nunmehr Art. 13, 11 Abs. 1 Nr. 1a Brüssel Ia VO) ist bei einem Auslandsunfall auch eine Klage am deutschen Wohngerichtsstand möglich. Dies ist für die deutschen Gerichte undankbar. Denn der Tatrichter muss ausländisches Recht von Amts wegen ermitteln. Dabei darf er sich nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.
Auch bei diesen Verfahren kann das Gericht vor der Frage stehen, ob nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind. Das AG Geldern hat eine solche Heranziehung der deutschen Regeln abgelehnt. Im niederländischen Recht konnte für den konkreten Fall eine solche Regel nicht festgestellt werden. Das AG Hof hat den im italienischen Recht ebenfalls existierenden Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden angenommen und deswegen die Klage abgewiesen. Auf die deutschen Grundsätze kam es in diesem Zusammenhang somit nicht an. Das LG Saarbrücken hat in mehrfachen Entscheidungen den Anscheinsbeweis als reines Prozessrechtsmittel angesehen und dann in dieser Linie konsequent die deutschen Grundsätze angewendet, obwohl sich der Unfall in Frankreich zugetragen hat. Diese Ansicht des LG Saarbrücken ist abzulehnen.
Der VI. Senat des BGH hatte dies noch nicht zu entscheiden und wird hier dazu auch nur in ganz engen Grenzen die Möglichkeiten haben. Denn die Anwendung des ausländischen Rechts ist nicht reversibel, § 545 ZPO. Bisher hatte der BGH sinngemäß festgehalten, dass der Anscheinsbeweis kein besonderes Beweismittel, sondern lediglich der konsequente Einsatz von Sätzen der allgemeinen Lebenserfahrung im Rahmen der freien Beweiswürdigung darstelle. Auch die Beweiswürdigung ist durch den BGH nur eingeschränkt überprüfbar. Der BGH müsste aber in der Sache den bisher nicht entscheidungserheblichen Streitstand entscheiden, wenn ihm die Sache vorgelegt wird. Wenn er – anders als bisher – die Regeln des Anscheinsbeweises (auch) im materiellen Recht verankert sieht, müsste er mitteilen, den Fall in der Sache mangels Reversibilität nicht entscheiden zu können. Denn ereignet sich der Unfall im Ausland, findet grundsätzlich gem. Art. 4, 18 ROM-II-VO das materielle Recht des Landes Anwendung, in dem sich der Unfall ereignet hat. Gemäß Art. 22 Abs. 1 ROM-II-VO gilt dies auch für gesetzliche Vermutungen und die Frage der Beweislastverteilung. Nach europäischem Verständnis wird man den Anscheinsbeweis wohl zum materiellen Recht zählen, zumindest zu Art. 22 Abs. 1 ROM-II-VO.
Da jedoch das Prozessrecht und der Beweis sich nach dem angerufenen Gericht richten, Art. 1 Abs. 3 ROM-II-VO sowie Art. 22 Abs. 2 ROM-II-VO, müsste der BGH dogmatisch sich nunmehr entscheiden, wie er den Anscheinsbeweis einstuft. Wenn er – ggfs. nach Aussetzung des Verfahrens und Anhörung des EUGH – deutlich macht, dass kein Bezug zum materiellen Recht besteht, ändert sich für die deutschen Fälle nichts. Es wird dann nur überprüft werden, ob das Gericht die Grenzen seiner Beweiswürdigung im Rahmen der Grundsätze des Anscheinsbeweises überschritten hat. Jedoch werden für die Auslandsunfälle dann Entscheidungen in Deutschland getroffen, die so im Land des Unfallorts nicht entschieden werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich nach Art. 17 ROM-II-VO die Straßenverkehrsvorschriften nach dem Recht des Unfallortes richten.
Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden, das Buck-Reich in DAR 2013, 124, 125 nach österreichischem Recht gebildet hat. Danach verlange das österreichische Recht lediglich, dass der Linksabbieger sich nur vor dem Einordnen nach hinten zu versichern habe, ob sich überholende Fahrzeuge hinter ihm befinden. Diese Pflicht bestehe dann nicht, wenn sich der Linksabbieger nach links eingeordnet hat und das Blinkzeichen rechtzeitig gesetzt habe.
Das deutsche Recht ist in § 9 Abs. 1 S. 4 StVO jedoch strenger. Hier wird auf eine Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen verzichtet, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.
Auch im niederländischen Recht gibt es im Vergleich zum deutschen Recht einen deutlichen Unterschied, diesmal strenger als das deutsche Recht. Im niederländischem Recht heißt es sinngemäß in Art. 18 lid 1 der RVV:
Fahrzeuge, die nach links abbiegen wollen, müssen die sich hinter ihnen befindenden Fahrzeuge vorlassen.
Man erkennt also die deutlichen Unterschiede in den Rechtssystemen.
Dass der Anscheinsbeweis seine Grundlagen im materiellen Recht hat, ergibt sich bereits daraus, dass dieser im Verkehrsrecht in der Regel in den Fällen zur Anwendung kommt, in dem die "Garantiepflichten" der StVO betroffen sind. Dies ist auch verständlich. Denn der BGH verlangt lediglich, dass es sich nach der Lebenserfahrung um einen allgemeinen Erfahrungssatz handelt. Ein allgemeiner Erfahrungssatz kann sich aber nur bilden, wenn i...