StVO § 48; VwGO § 162 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
1. Zweck der Vorschrift des § 48 StVO ist es, einen Kraftfahrer, der nicht nur geringfügige Lücken in der Kenntnis der Verkehrsregeln zeigt oder deren Bedeutung verkennt oder aus charakterlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Erkenntnissen gemäß zu handeln, erzieherisch zur Beseitigung der bestehenden Mängel zu beeinflussen (vgl. VG München, Urt. v. 16.5.2012 – M 23 K 12.960, Rn 32, juris). Bei der Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht ist das behördliche Ermessen daher fehlerhaft ausgeübt, wenn keine Anhaltspunkte vorhanden und von der Behörde aufgezeigt sind, dass ein entsprechendes Erziehungsbedürfnis bei dem Betreffenden besteht (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.10.1990 – 11 B 90.655, juris).
2. Eine Verwaltungspraxis die dazu führt, dass gegenüber Ersttätern die Teilnahme am Verkehrsunterricht angeordnet wird, ohne dass Umstände der Tatbegehung, das Verhalten nach der Tat oder die Einlassung des Täters zur Tat Anlass zu einer solchen Anordnung geben und besondere Anhaltspunkte für ein spezielles Erziehungsbedürfnis bei dem Betreffenden bestehen, ist rechtswidrig.
(Leitsätze der Schriftleitung)
VG Frankfurt (Oder), Gerichtsbescheid v. 26.7.2016 – VG 2 K 1534/15
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich gegen die Anordnung zur Teilnahme am Verkehrsunterricht.
Der Kl. überschritt am 15.7.2014 mit einem Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h. Gegen den daraufhin gegen den Kl. ergangenen Bußgeldbescheid v. 28.7.2014 legte er keinen Einspruch ein, so dass dieser am 14.8.2014 rechtskräftig wurde. Die festgesetzte Geldbuße beglich er, seinen Führerschein gab er aufgrund des angeordneten Fahrverbots beim Bekl. ab.
Mit Schreiben v. 4.12.2014 wurde der Kl. zur vom Bekl. beabsichtigten Vorladung zum Verkehrsunterricht angehört. Mit Anwaltsschreiben v. 11.12.2014 äußerte sich der Kl. dahingehend, dass die Vorladung zum Verkehrsunterricht unverhältnismäßig sei. Der Kl. habe Einsicht und Kritikfähigkeit hinsichtlich des begangenen Verkehrsverstoßes bewiesen, indem er Geldbuße und Fahrverbot akzeptiert habe.
Mit Anwaltsschreiben v. 29.12.2014 legte der Kl. eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister v. 16.12.2014 vor, die für ihn lediglich die mit Bußgeldbescheid v. 28.7.2014 getroffenen Entscheidungen auswies. Ergänzend trug der Kl. vor, dass besondere Anhaltspunkte für die Notwendigkeit, erzieherisch auf ihn einzuwirken, nicht erkennbar seien. Besondere Auffälligkeiten weise sein Verhalten nicht auf. Weder folge diese aus den Feststellungen der Polizei noch aus seinem Nachtatverhalten.
Mit Bescheid v. 17.2.2015 ordnete der Bekl. gegenüber dem Kl. die Teilnahme am Verkehrsunterricht innerhalb eines Monats nach Bestandskraft an und setzte die Kosten für die Entscheidung auf 28,55 EUR fest. Gegen den am 19.2.2015 den Prozessbevollmächtigten des Kl. zugestellten Bescheid legte der Kl. mit Anwaltsschreiben v. 19.3.2015 Widerspruch ein, der beim Bekl. am selben Tag per Fax einging. Den Widerspruch begründete der Kl. im Kern mit den gleichen Argumenten, die er auch im Anhörungsverfahren vorbrachte. Ergänzend verwies er auf die Verwaltungsvorschrift zu § 48 StVO, die eine Nachschulung für die Fälle einsichtiger Betroffener nicht vorsehe.
Mit Widerspruchsbescheid v. 28.9.2015, wies der Bekl. den Widerspruch des Kl. zurück. Entgegen der Ansicht des Kl. sei für die Vorladung infolge eines einmaligen Verkehrsverstoßes nicht zusätzlich Uneinsichtigkeit erforderlich. Es genüge ein grober Verstoß gegen eine grundlegende Verkehrsvorschrift. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h sei ein solcher grober Verstoß. Mit Schriftsatz v. 20.10.2015, bei Gericht am selben Tag per Fax eingegangen, hat der Kl. Klage erhoben.
2 Aus den Gründen:
"Das Gericht konnte nach vorheriger Anhörung der Beteiligten (§ 84 Abs. 1 S. 2 VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gem. § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist."
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Anordnung der Teilnahme am Verkehrsunterricht ist rechtswidrig und verletzt den Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Anordnung ist § 48 StVO. Danach ist, wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, da der Kl. am 15.7.2014 mit einer festgestellten Geschwindigkeit von 84 km/h die innerhalb geschlossener Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit um 34 km/h überschritt und damit gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstieß.
Das dem Bekl. zustehende und vom Gericht unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gem. § 114 VwGO zu überprüfende Ermessen hat er jedoch vorliegend fehlerhaft ausgeübt, denn er hat von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächti...