zfs 12/2016, Das Überholen als verkehrsrechtliches Problem / I. Allgemeines

Verstöße gegen die verschiedenen Absätze des § 5 StVO (Abs. 1 bis 4a, 5 S. 2, 6 und 7) stellen Ordnungswidrigkeiten nach § 49 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 24 StVG dar, deren Regelfolgen in Nr. 16–29 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV normiert sind.

Ebenfalls möglich sind Verstöße gegen durch Verkehrszeichen angeordnete Überholverbote, § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, v.a. in Verbindung mit Zeichen 276 und 277. Hierbei muss gegebenenfalls auf die Aufstellsituation besonders Acht gegeben werden, insbesondere ob eine verwirrende Beschilderungskombination gewählt wurde oder ob nur einseitig beschildert wurde.^[53]

Das Zeichen 276 verbietet nach wohl ebenso einhelliger Auffassung nicht nur den Beginn, sondern auch die Fortsetzung und die Beendigung des Überholvorgangs innerhalb der Überholverbotszone;^[54] ein bereits eingeleiteter Überholvorgang muss andernfalls noch vor dem Verbotsschild abgebrochen werden.^[55] Dies ist umso wichtiger, als während des Überholvorgangs durchaus Zeichen auch übersehen werden können.^[56]

Bezüglich möglicher Einreden und Schutzbehauptungen sei darauf hingewiesen, dass die Vollendung des Verstoßes bereits mit dem Beginn des Ausscherens verwirklicht wird, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt die Behinderung des Gegenverkehrs nicht absehbar ist.^[57] Allenfalls ein kurzes Schwenken nach links, um die Überholmöglichkeit zu prüfen, kann noch außerhalb des Tatbestands liegen,^[58] nicht aber, wenn damit ein Ausscheren und Beschleunigen einhergeht.^[59] Der Überholvorgang ist erst beendet, wenn sich der Überholende wieder auf der rechten Fahrbahnseite eingeordnet hat.^[60] Wer sich mit seinem Fahrzeug schräg vor dem zu überholenden Fahrzeug befindet, zu diesem aber noch keinen hinreichenden Sicherheitsabstand gewonnen hat, muss das Überholmanöver abbrechen, ggf. verlangsamen und sich zurückfallen lassen.^[61]

Bei der Prüfung des Tatbestands ist angesichts der Definition des Überholens^[62] wichtig zu erkennen, dass der Seitenstreifen nicht Bestandteil der Fahrbahn ist (§ 2 Abs. 1 S. 2 StVO). Wer den Seitenstreifen benutzt, um rechts an anderen vorbeizufahren, überholt deshalb nicht i.S.d. § 5 StVO, möglicherweise liegt aber eine (vorsätzliche) Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO vor.^[63]

Bei Verwirklichung des Verstoßes nach §§ 5 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 4 StVO tritt § 1 Abs. 2 StVO zurück,^[64] bei zusätzlicher Gefährdung oder Schädigung besteht Tateinheit zwischen den Verstößen.^[65] Sind Verstöße in § 49 StVO nicht erfasst, wie etwa der gegen § 5 Abs. 5 S. 1 StVO, ist wiederum allenfalls eine Ahndung nach § 1 Abs. 2 StVO denkbar.^[66] Weitere Konkurrenzsituationen sind in der einschlägigen Kommentierung erfasst.^[67]

Will der Tatrichter von der rechtlichen Beurteilung der Tat im Bußgeldbescheid als falsches Überholen durch Behinderung des Gegenverkehrs (§ 5 Abs. 2 S. 1 StVO) abweichen und den Betroffenen des falschen Überholens durch Behinderung des Überholten (§ 5 Abs. 4 S. 3 und 4 StVO) schuldig erachten, muss er diesen zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinweisen.^[68]

[53] Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 StVO, Rn 36.

[54] OLG Hamm, Beschl. v. 7.10.2014 – III-1 RBs 162/14, juris.

[55] BGH, Beschl. v. 13.2.1975 – 4 StR 508/74, BGHSt 26, 73 = NJW 1975, 1330; OLG Köln, Urt. v. 30.5.2000 – 9 U 1/99, NVersZ 2001, 169.

[56] OLG Dresden, Beschl. v. 11.2.2015 – OLG 25 Ss 39/15 (Z), zfs 2015, 651.

[57] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.10.1985 – 5 Ss 283/85 – 62/85 IV, zfs 1986, 94.

[58] BayObLG bei Bär, DAR 1988, 361, 366.

[59] OLG Karlsruhe, Urt. v. 4.3.2004 – 12 U 151/03, zfs 2004, 321.

[60] OLG Hamm, Urt. v. 13.12.1999 – 13 U 111/99, zfs 2000, 243.

[61] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.1.1980 – 5 Ss (OWi) 746/79 – 740/79 I, NJW 1980, 1116.

[62] Siehe dazu NK-GVR/Gutt, 1. Aufl. 2014, § 5 StVO Rn 2; KG Berlin, Beschl. v. 20.9.2010 – 12 U 216/09, r+s 2011, 174.

[63] OLG Celle, Beschl. v. 8.4.2015 – 312 SsRs 51/15, jurisPR-VerkR 16/2015 Anm. 5.

[64] Idealkonkurrenz, vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.11.1971 – 3 Ss OWi 1222/71, DAR 1972, 81; Spezialvorschrift, vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.2.1992 – 2 Ss 126/91, NZV 1992, 248.

[65] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.1994 – 5 Ss (OWi) 210/94 – (OWi) 107/94 I, NZV 1994, 488.

[66] OLG Köln, Beschl. v. 18.11.1983 – 3 Ss 658/83, VRS 67, 41.

[67] Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., 2014, § 5 StVO Rn 79; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 5 StVO Rn 71.

[68] OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.6.1989 – 3 Ss 341/89, DAR 1989, 392.