Leitsatz (amtlich)
1. Ein Kraftfahrer, der zur Vorbereitung eines Überholvorgangs nach links ausschert, muss äußerste Sorgfalt anwenden, um jede Gefährdung des Gegenverkehrs auszuschließen. Hierzu gehört es insb., dass sich der Fahrer mit den entspr. Fahreigenschaften seines Fahrzeugs vertraut macht und notfalls von riskanten Überholmanövern absieht.
2. Hält der Ausscherende diese Sorgfaltsanforderungen nicht ein, so trifft ihn regelmäßig die Alleinhaftung.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 27.02.2003; Aktenzeichen 4 O 225/02) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.2.2003 verkündete Urteil des LG Saarbrücken (4 O 225/02) wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten der Nebenintervention als Gesamtschuldner.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz auf Grund eines Verkehrsunfalls.
Am 5.2002 befuhr der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw die B 420 aus O. kommend in Richtung S. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/h. Hinter einer Rechtskurve wollte er einen Renault Clio überholen, der vor ihm mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 bis 65 km/h fuhr. Der Beklagte zu 1) lenkte sein Fahrzeug zumindest teilweise auf die linke Fahrspur. Dabei erblickte er den aus Richtung S. kommenden Kläger, welcher ihm auf seinem Motorrad mit einer Geschwindigkeit von höchstens 95 km/h entgegen kam. Der Beklagte zu 1) leitete eine Vollbremsung ein, um wieder hinter dem Renault Clio einzuscheren. Sein Fahrzeug geriet jedoch außer Kontrolle und rutschte in einer Drehbewegung entgegen dem Uhrzeigersinn auf die Fahrspur des Klägers. Dieser leitete ebenso eine Vollbremsung ein, konnte den Zusammenstoß aber nicht mehr verhindern (Bl. 3 f. d.A.).
Der Kläger erlitt durch den Zusammenprall erhebliche Verletzungen. Insbesondere brach der 12. Wirbel mit der Folge, dass der 1967 geborene Kläger seither querschnittsgelähmt ist (Bl. 4 u. 5 d.A.). Darüber hinaus traten Lungenverletzungen und weitere Brüche auf (Bl. 5 d.A.).
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe aus einer Fahrtgeschwindigkeit von etwa 110 km/h ohne ausreichende Sicht zum Überholvorgang auf der Gegenfahrbahn angesetzt. Da er, der Kläger, seinerseits mit 95 km/h entgegen gekommen sei, hätten zumindest 341,40 m eingesehen werden müssen, um gefahrloses Überholen zu ermöglichen. Tatsächlich habe nur freie Sicht auf rund 236 m bestanden. Darüber hinaus sei dem Beklagten zu 1) sein Fahrverhalten vorzuwerfen, welches eine Notbremsung ohne ein Fehlverhalten Dritter nötig gemacht habe. Aus diesen Gründen habe der Beklagte zu 1) den Unfall allein verschuldet.
Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen aus der Unfallverletzung vom 5.2002 in O. entstandenen materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten, ausgenommen solche Ansprüche, die auf Sozialleistungsträger übergegangen sind.
Die Beklagten haben Abweisung der Klage beantragt und die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig, da das Feststellungsinteresse fehle, denn der Kläger könne seinen Schmerzensgeldanspruch, seinen Schadensersatzanspruch bezüglich des Motorrads und seine bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits entstandenen und nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangenen Pflegekosten für vermehrte Bedürfnisse etc. beziffern (Bl. 125 d.A.).
Die Beklagten haben ferner behauptet, dass der Wagen des Beklagten zu 1) auf Grund einer nicht vorhersehbaren Überbremsung der Hinterachse ausgebrochen sei, woran ihn jedoch kein Verschulden treffe. Vielmehr habe es sich um einen Fahrzeugmangel gehandelt (Bl. 20 d.A.). Der Beklagte zu 1) habe sein Fahrzeug nur minimal auf die linke Fahrbahn gelenkt, um an dem langsam vor ihm fahrenden Pkw Renault Clio vorbeizuschauen. Hierbei habe er den Kläger auf seinem Motorrad erblickt, aus diesem Grund sein Fahrzeug sofort abgebremst, um vollständig hinter dem Renault auf der rechten Fahrbahn einzuscheren (Bl. 19 d.A.). Er sei mit keiner höheren als der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren (Bl. 20 d.A.).
Im Übrigen habe der Kläger selbst um 0,6 Sekunden zu spät reagiert. Der Unfall sei für den Kläger vermeidbar gewesen, da aus Sicht des Klägers ein Anhalteweg von 41,1 m und eine Zeit von 3,3 Sekunden ausgereicht hätten, das Unfallgeschehen zu vermeiden (Bl. 21 d.A.). Es werde bestritten, dass der Kläger während der Fahrt die erforderlichen Augengläser getragen habe (Bl. 21 d.A. – Beweis: Bl. 89 d.A.).
Das LG hat mit dem am 27.2.2003 verkündeten Urteil (Bl. 117 d.A.) der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Senat nimmt gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tats...