[8] "… Die kraft Zulassung durch den AGH statthafte (vgl. § 112e S. 2 BRAO, § 124 Abs. 1 VwGO) und auch im Übrigen zulässige (§ 112e S. 2 BRAO, § 124a Abs. 6 VwGO) Berufung bleibt ohne Erfolg."
[9] 1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (§§ 112a Abs. 1, 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 42 VwGO). …
[10] 2. Die Klage ist auch begründet. Der Kl. hat nicht gegen berufsrechtliche Pflichten verstoßen, indem er eine kostenlose Erstberatung für Personen angeboten hat, die einen Verkehrsunfall erlitten haben. Insb. sind die Voraussetzungen des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nicht erfüllt.
[11] a) Nach § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Die Ausnahmevorschrift des § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO, nach welcher der Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen nach Erledigung des Auftrags unter bestimmten Voraussetzungen erlassen oder ermäßigen darf, greift ersichtlich nicht ein, weil die kostenlose Erstberatung vorab und unabhängig von der Bedürftigkeit des Auftraggebers angeboten wurde.
[12] b) Das RVG sieht keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor. Die Vergütung einer Beratung in außergerichtlichen Angelegenheiten ist in § 34 Abs. 1 RVG geregelt. Für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängen, soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit im Vergütungsverzeichnis keine Gebühren bestimmt sind. Wenn keine Vereinbarung getroffen worden ist, erhält der Rechtsanwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, also in der Regel nach § 612 Abs. 2 BGB. Ist der Auftraggeber Verbraucher, beträgt die Gebühr für ein erstes Beratungsgespräch höchstens 190 EUR.
[13] Schreibt das RVG keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor, gibt es keine Mindestgebühr, die unter Verstoß gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO unterschritten werden könnte. Das gilt auch hinsichtlich der nach § 34 Abs. 1 S. 2 RVG, § 612 Abs. 2 BGB bei Fehlen einer Vereinbarung maßgeblichen “üblichen‘ Vergütung; denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gehen Gebührenvereinbarungen vor (vgl. hierzu auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 11.11.2003, BT-Drucks 15/1971, S. 238 zu Art. 5, Nr. 3). In der Rechtsprechung der Anwaltsgerichtshöfe (AGH Berlin AnwBl. 2007, 375, 376; AGH Hamm, NJW-RR 2014, 1335, 1336; AGH Hamm AnwBl. 2016, 767, 768), der Zivilgerichte in Wettbewerbssachen (OLG Stuttgart RVGreport 2007, 79 (Hansens) = AGS 2007,59; LG Essen NJW-RR 2014, 379, 380) und in der überwiegenden Kommentar- und Aufsatzliteratur (von Seltmann in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 49b BRAO Rn 30; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 49b Rn 9; Schneider/Wolf/Onderka, RVG, 7. Aufl., § 4 Rn 17; Wedel JurBüro 2007, 623, 624; Himmelsbach GRUR-Prax 2014, 399; Ring DStR 2016, 2423; Fölsch MDR 2016, 133, 135; vgl. auch Bischof in Bischof/Jungbauer, RVG, 7. Aufl., § 4 Rn 7; Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., § 34 Rn 37; Feuerich/Weyland/Brüggemann, BRAO, 9. Aufl., § 49b Rn 9) wird eine kostenlose Erstberatung daher für zulässig gehalten.
[14] c) Entgegen der Ansicht der Bekl. wird die Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 1 RVG nicht durch die in § 4 Abs. 1 RVG enthaltenen Regelungen dahingehend modifiziert, dass die vereinbarte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko der anwaltlichen Leistung stehen muss.
[15] aa) Nach § 4 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG kann in außergerichtlichen Angelegenheiten eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. Die Vergütung muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Nach Ansicht der Bekl. ist die Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 2 RVG auch auf Vergütungsvereinbarungen nach § 34 Abs. 1 S. 1 RVG anzuwenden. Ein vollständiger Verzicht auf Gebühren für anwaltliche Leistungen sei niemals angemessen und deshalb unzulässig (ebenso Henssler/Prütting/Kilian, BRAO, 4. Aufl., § 49b Rn 37).
[16] Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 2 RVG ist auf die Gebührenvereinbarung nach § 34 Abs. 1 S. 1 RVG nicht anwendbar. Das folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihrer Stellung im Gesetz. § 4 Abs. 1 S. 2 RVG schließt an § 4 Abs. 1 S. 1 RVG an. Er setzt also eine gesetzlich vorgeschriebene Vergütung voraus. Für eine Vergütung, die nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, gilt § 4 Abs. 1 S. 2 RVG also nicht (von Seltmann in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 49b Rn 30). Insb. gilt § 4 RVG nicht für Vereinbarungen nach § 34 RVG (Mayer/Kroiß/Teubel, RVG, 6. Aufl., § 4 Rn 12; von Seltmann in Beck‘scher Online-Kommentar RVG, Stand 1.6.2016, § 4 Rn 2). Eine Äquivalenzkontrolle findet im Anwendungsbereich des § 34 RVG nicht statt (Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 49b Rn 9).
[17] Die Bindung einer Vereinbarung nach § 34 RVG an den Maßstab des