ZPO § 91
Leitsatz
1. Erteilt die Haftpflichtversicherung des beklagten Versicherungsnehmers Rechtsanwälten einen Prozessauftrag zur Verteidigung gegen eine Klage, obwohl der Bekl. selbst am Vortag Kenntnis von der Klagerücknahme erhalten hat, so sind die hierdurch veranlassten Anwaltskosten des Bekl. nicht erstattungsfähig.
2. Ob die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten bereits daran scheitert, dass eine anwaltliche Tätigkeit nach Wirksamwerden der Klagerücknahme objektiv nicht notwendig ist (so BGH – III. ZS – zfs 2016, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 186 [Hansens]), bleibt ausdrücklich offen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Köln, Beschl. v. 8.3.2017 – 17 W 13/17
Sachverhalt
Der Kl. hatte vor dem LG Aachen Klage gegen den Bekl. erhoben. Nach Zustellung dieser Klage an den Bekl. nahm der Kl. seine Klage wieder zurück. Die Klagerücknahme ging dem Bekl. persönlich (spätestens) am 10.10.2016 zu. Seine zuvor von der Anhängigkeit des Rechtsstreits informierte Versicherung hat die Prozessbevollmächtigten des Bekl. mit dessen Vertretung in dem Rechtsstreit am 11.10.2016 um 9:44 Uhr beauftragt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Rechtspflegerin des LG Aachen die von dem Bekl. beantragten Anwaltskosten – wohl eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG nebst Auslagen – durch Kostenfestsetzungsbeschl. v. 25.11.2016 antragsgemäß festgesetzt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Kl. hat die Rechtspflegerin ihren Kostenfestsetzungsbeschluss durch Beschl. v. 18.1.2017 teilweise geändert und statt der 1,3 Verfahrensgebühr nur eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG nebst Auslagen berücksichtigt. Im Übrigen hat die Rechtspflegerin der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG Köln zur Entscheidung vorgelegt.
Die weitergehende sofortige Beschwerde des Kl. führte beim OLG Köln zur Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschl. v. 25.11.2016 in der Fassung des Teilabhilfebeschl. der Rechtspflegerin v. 18.1.2017 und zur Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags des Bekl.
2 Aus den Gründen:
" … Die sofortige Beschwerde des Kl. gegen den am 30.11.2016 zugestellten Beschl. ist gem. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ff. ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG zulässig. Sie hat auch in der Sache selbst in vollem Umfang Erfolg."
Nach der eindeutigen Rspr. des III. ZS des BGH (BGHZ 209, 120 ff. = zfs 2016, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 186 mit kritischer Besprechung Hansens, RVGReport 2016, 186 ff. und Müller-Rabe, JurBüro 2017, 3 ff.) kommt es für die Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Rechtsanwalt allein auf die objektive Lage an: Ist ein Rechtsmittel – oder im hiesigen Fall die Klage – zum Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts durch die Gegenpartei (Bekl.) bereits zurückgenommen, sind dessen Kosten “objektiv' nicht (mehr) erforderlich. Dies gilt auch für die ermäßigte Gebühr – hier: Nr. 3101 VV RVG. Wenn der Prozessbevollmächtigte des Bekl. erstmals nach der Rücknahme der Klage tätig geworden ist, also nicht aufgrund eines ihm erteilten Auftrags schon vor deren Rücknahme das Geschäft i.S.v. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG betrieben hat, fällt auch keine ermäßigte Gebühr an (vgl. BGH, a.a.O.). Dies hat das LG übersehen. Ob der Senat dieser Rspr. folgt, bleibt ausdrücklich offen.
Selbst wenn man aber diese Meinung des BGH nicht teilt, sondern der Ansicht folgt, dass die Kosten des Gegners (Bekl.) dann erstattungsfähig sind, wenn weder der Partei noch ihrem Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der Einreichung der Klageerwiderung bzw. Verteidigungsanzeige bekannt war oder bekannt sein musste, dass die Rücknahme der Klage bereits erfolgt war (vgl. BAG RVGreport 2012, 349 (Hansens) = AGS 2013, 98 ff. und die Nachweise bei BGH a.a.O. Rn 9, u.a. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., Anhang XIII Rn 45 ff., 48 m.w.N. zum Streitstand; zu § 80 FamFG aktuell BGH RVGreport 2017, 143 (Hansens); OLG München zfs 2016, 646 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 425 (Hansens) = AGS 2016, 547), kommt im vorliegenden Fall eine Kostenerstattungspflicht des Kl. nicht in Betracht. Der Senat muss nämlich davon ausgehen, dass dem Bekl. persönlich die Klagerücknahme – ebenso wie dem Prozessbevollmächtigten des Kl. – (spätestens) am 10.10.2016 zugegangen ist, er also an diesem Tag von der Rücknahme erfahren hat. Dann hätte er unverzüglich dafür Sorge tragen müssen, dass seine Versicherung einen kostenpflichtigen Auftrag nicht (mehr) erteilt. Die Prozessbevollmächtigten des Bekl. haben den Auftrag erst am 11.10.2016 um 9.44 Uhr erhalten, also nach Kenntnis des Bekl. von der Klagerücknahme. … “
3 Anmerkung:
Die Entscheidung bedarf einiger Anmerkungen, weil das OLG Köln nicht sämtliche verfahrensgegenständliche Probleme erörtert hat.
I. Verfahrensgebühr nach dem Hauptsachewert
Soweit das OLG Köln die Notwendigkeit der vollen und der ermäßigten Verfahrensgebühr nach dem Wert der Hauptsache verneint hat, wird der Entscheidung bei dem gegebenen Sachverhalt wohl zuzustimmen sein. Der Bekl., der im Laufe des 10.10.2016 Kenntnis von der Klagerücknahme erhalten hat, hätte unverzüglich sei...