1) Ist das Opfer eines Verkehrsunfalls, sei es körperlich oder psychisch, vorgeschädigt gewesen und hat dies zusammen mit der Unfallschädigung zu einem möglicherweise Schmerzensgeld begründenden Anspruch des Geschädigten geführt, stellt sich die Frage, ob aufgrund der Vorschädigung der Schmerzensgeldanspruch völlig entfällt oder jedenfalls in seiner Höhe vermindert wird. Körperliche Beeinträchtigungen wie Glasknochen und Bluterkrankheiten können ebenso wie psychische Vorschädigungen zusammen mit dem Unfall und dessen nachfolgender Bewältigung zu gravierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Die miteinander zusammenlaufenden Ursachen ungünstige Prädisposition des Geschädigten und schädigende Handlung des Schädigers bilden ein "Ursachenbündel", deren Gewichte bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen sind (vgl. BGH NJW-RR 1999, 819). Da der konkrete Zurechnungszusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem Schaden zu ermitteln ist, ist eine diese Wertung verfälschende Gedankenoperation verfehlt, die Auswirkungen der ungünstigen Prädisposition des Geschädigten wegzudenken und zu untersuchen, wie ein gesunder Geschädigter die schädigende Handlung verkraftet hätte. Das wird plakativ mit dem Satz umschrieben, dass der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als habe er einen Gesunden verletzt (vgl. BGH NJW 1989, 2616; BGH NJW 1996, 2425; Luckey, in: Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 6. Aufl., Kapitel 1 Rn 166; Schah Sedi/Schah Sedi, Das verkehrsrechtliche Mandat – Bd. 5: Personenschäden, 2. Aufl., Rn 38–42).
2) Hinsichtlich der Zurechnung problematisch sind die Fälle, in denen der Geschädigte vor dem haftungsbegründenden Ereignis beschwerdefrei war und erst eine gründliche ärztliche Diagnostik etwa das Vorliegen eines stummen Bandscheibenvorfalls offenlegt, der nach dem Unfall manifest geworden ist. Diese Vorschädigung soll nach der überwiegenden Rechtsprechung ohne Bedeutung für die Schmerzensgeldbemessung sein (vgl. BGH NJW 1997, 455; OLG Hamm DAR 2000, 263; Doukoff, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2 Rn 1063 m.w.N.).
3) Der Einfluss von Vorschädigungen auf die Schmerzensgeldbemessung muss auch dann nicht untersucht werden, wenn das Schadensereignis geringfügig ist (sog. Bagatelle) und nicht speziell auf eine Schadensanlage des Geschädigten trifft (vgl. BGH VersR 1996, 990) In diesen Fällen der Fehlverarbeitung – etwa einem Infarkt nach einem Beinaheunfall (OLG Düsseldorf VersR 1992, 1233) wirkt sich eine spezifische erkannte Vorschädigung in Verbindung mit der Schädigung durch den Dritten nicht aus. Die sog. Bagatellrechtsprechung ist allerdings auf dem Rückzug. Die Geringfügigkeit des auslösenden Ereignisses soll dann zu verneinen sein, wenn die schädigende Handlung einen Schmerzensgeldanspruch ausgelöst hätte (vgl. BGH VersR 1998, 201; BGH VersR 1998, 200). Damit lösen bereits Schädelprellungen mit HWS-Trauma Schmerzensgeldansprüche aus und sind keine Bagatellverletzungen. Das hat zur Folge, dass der Einfluss von Vorschädigungen der HWS-Geschädigten bei der Bemessung von Schmerzensgeld zu prüfen ist.
4) Entbehrlich wäre diese zeitaufwändige und schwierige Prüfung dann, wenn dem vorgeschädigten Opfer eines Verkehrsunfalls als haftungsausschließendes Mitverschulden vorgeworfen werden könnte, in Kenntnis seiner ungünstigen Prädisposition sich dem "Zivilisationsrisiko" (BGH NJW 1997, 455, 456) ausgesetzt zu haben. Das Meiden der Vorzüge der Mobilität durch die Teilnahme am Straßenverkehr aus Gründen des Selbstschutzes kann dem Geschädigten nicht abverlangt werden (vgl. BGH NJW 1997, 455, 456). Ein Mitverschulden des Vorgeschädigten bei einem Verkehrsunfall und auf die Vorschädigung zurückzuführende gravierende Schadensfolge ist dann angezeigt, wenn die Vorschädigung sich zwangsläufig bei einem Verkehrsunfall schwerwiegend auswirken musste (BGH VersR 1984, 86 [Glasknochen]; vgl. auch BGH NJW 1982, 168).
5) Allerdings kann die Vorschädigung durch das spätere Schadensereignis "überholt" werden, was jedenfalls Einfluss auf den Zeitraum der Zuerkennung des Schmerzensgeldes hat. Ergibt sich nach dem Unfallereignis, dass die Vorschädigung bei "Wegdenken" des Unfallereignisses zu dem gleichen negativen Gesundheitszustand des Opfers geführt hätte, kann Schmerzensgeld nur für den Zeitraum bis zu dem überholten Eintritt des Schadens allein auf der Auswirkung der Vorschädigung verlangt werden (vgl. OLG Hamm NZV 2002, 37).
6) Grundlage für die Berücksichtigung der Vorschädigung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist allein die zum Schadensausgleich erforderliche geminderte Schmerzensgeldzahlung. Die dabei vorzunehmende Abwägung aller Umstände muss das aufgrund der empfundenen Vorschädigung bestehende Defizit an Lebensfreude berücksichtigen (vgl. BGH NJW 1997, 455; BGH NJW 1996, 2425).
7) Wirkt sich eine negative gesundheitliche Prädisposition des Geschädigten im psychischen Bereich bei der Verarbeitung des Unfallgesche...