"… [10] 1. Die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG ist – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (Senat v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16, VersR 2017, 186 = NJW 2017, 1175 Rn 7; v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, VersR 2016, 479 = NJW 2016, 1100 Rn 10; v. 27.5.2014 – VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 = NJW 2014, 3097 Rn 18). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (Senat v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16, a.a.O.; v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, a.a.O.; v. 27.5.2014 – VI ZR 279/13, a.a.O.)."
[11] 2. Nach diesen Grundsätzen sind die Erwägungen des BG nicht zu beanstanden.
[12] a) Frei von Rechtsfehlern hat das BG auch der Kl. im Verhältnis zum Bekl. zu 2 einen Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO zur Last gelegt. Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich der Führer eines Fahrzeugs beim Rückwärtsfahren, nach § 10 S. 1 StVO derjenige, der von einem Straßenteil – hier einem Parkplatz – auf die Fahrbahn einfährt, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. "Anderer Verkehrsteilnehmer" ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (vgl. BGH v. 25.11.1959 – 4 StR 424/59, BGHSt 14, 24 [27] zu § 1 StVO; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 1 StVO Rn 17 m.w.N.). Darunter fällt zwar "primär" (Senat v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, VersR 2016, 410 = NJW 2016, 1098 Rn 11) und "insb." (BGH v. 25.4.1985 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835 = NJW-RR 1986, 189 [190]), aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der – wie hier der Bekl. zu 2 – auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2016, 352 Rn 15; LG Heidelberg NJW-RR 2016, 1431 [1432]; König, a.a.O., § 10 StVO Rn 4, 10; Scholten, in: Freymann/Wellner, juris-PK zum Straßenverkehrsrecht 2016, § 10 StVO Rn 50).
[13] Soweit ein Teil der instanzgerichtlichen Rspr. (OLG Hamm VRS 45, 461; OLG Celle VersR 1964, 249 [zu § 17 StVO a.F.]; LG Hamburg v. 17.11.2017 – 306 S 1/17, juris Rn 12; LG Saarbrücken v. 10.12.2010 – 13 S 80/10, juris Rn 7 f.) sowie der Literatur (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 10 StVO Rn 2) das Bestehen der besonderen Sorgfaltspflichten aus §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO allein gegenüber dem fließenden Verkehr annimmt, weil allein im Verhältnis zu diesem wegen der dort typischerweise bestehenden höheren Geschwindigkeiten eine besondere Gefahrensituation bestehe, ist diese Auffassung mit dem Wortlaut der genannten Normen nicht vereinbar, nach dem unterschiedslos die Gefährdung "anderer Verkehrsteilnehmer" auszuschließen ist. Entsprechend ist in Rspr. und Literatur im Grundsatz anerkannt, dass die besonderen Sorgfaltspflichten der §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO auch gegenüber Fußgängern Platz greifen (OLG Düsseldorf VRS 54, 298; KG VM 1986, 86; König, a.a.O., § 10 StVO Rn 4; Burmann, a.a.O., § 10 StVO Rn 2; Scholten, a.a.O., § 10 StVO Rn 46; Bender, in: MüKo zum Straßenverkehrsrecht, § 10 StVO Rn 6; Müller, in: Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht – Stand August 2015 – § 10 StVO Rn 4; Greger, in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 14 Rn 220; einschränkend gegenüber dem in der Fahrzeugtür des parkenden Autos stehenden oder am Fahrbahnrand wartenden Fußgänger KG VRS 107, 96 = VersR 2004, 1618; OLG Hamm NZV 1995, 72, 73). Nichts anderes kann im Verhältnis zu – wenngleich ggf. langsam – anderen auf die Straße einfahrenden oder am Straßenrand anfahrenden Kfz gelten.
[14] b) Der danach der Kl. zur Last fallende Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten der §§ 9 Abs. 5, 10 S. 1 StVO entfällt auch nicht ausnahmsweise deshalb, weil diese mit dem atypischen groben Verkehrsverstoß des Bekl. zu 2 (Rückwärtsfahren des gegen die Fahrtrichtung parkenden Fahrzeugs über zehn Meter) nicht hätte rechnen müssen (vgl. hierzu KG VRS 60, 382; OLG Oldenburg NZV 1992, 487, 488). Nach den Feststellungen des BG hatte die Kl. den Bekl. zu 2 nämlich beim Einsteigen in sein Fahrzeug ebenso wahrgenommen wie den Umstand, dass dieser vor einer Weiterfahrt zunächst werde rückwärtsfahren müssen. Gleichwohl ist sie selbst rückwärts in dessen Fahrbahn eingekreuzt, wobei sie ihre Rückwärtsfahrt erst zur Hälfte beendet hatte, als der Bekl. zu 2 seinerseits rückwärts anfuhr.
[15] c) Nichts anderes ...