StVG §§ 7 17 Abs. 1 S. 2; StVO § 35 Abs. 5a, Abs. 8
Leitsatz
Zur Betriebsgefahr eines Rettungsahrzeugs, das ungebremst mit mindestens 43 km/h bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfährt.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.2.2018 – I-1 U 112/17
1 Sachverhalt
Der Kl., der Kaskoversicherer eines Rettungsfahrzeugs ist, macht gegen die Bekl. 100 % Schadensersatz geltend, der bei einem Kreuzungszusammenstoß des Rettungsfahrzeugs mit dem Pkw des Bekl. entstanden ist. Der bei dem Kl. vollkaskoversicherte Rettungswagen war zu einem Notalleinsatz unterwegs. Bei dem Versuch, die Kreuzung trotz Rotlichts zu überqueren, stieß das Rettungsfahrzeug mit dem Pkw des Bekl. zusammen. Nach den ausgewerteten Daten des Unfallschreibers hatte der Fahrer des Rettungsfahrzeugs Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet. Bei dem Zusammenstoß beider Fahrzeuge stieß der versicherte Pkw gegen die linke Seite des Rettungsfahrzeugs. Der Kl. erstattete ihrer N die Bruttoreparaturkosten abzüglich einer Selbstbeteiligung sowie die Abschleppkosten. Nachdem die Bekl. zu 1) eine Haftung bereits dem Grunde nach ablehnte, verfolgte der Kl. seinen behaupteten Schadensersatzanspruch. Nach umfangreicher Beweisaufnahme gab das LG auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % der Klage statt. Die Berufung hatte überwiegend Erfolg. Nach der von ihm vorgenommenen Unfallrekonstruktion gelangte der Senat zu einer Haftung der Bekl. von 29 %.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Die Bekl. sind dem Kl. gem. den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVO, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall verpflichtet, denn der Unfall hat sich beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs ereignet."
a) Der Kl. ist aktivlegitimiert, da die Schadenersatzforderung der Eigentümerin des Rettungswagens gegen die Bekl. gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf ihn übergegangen ist, soweit er den Schaden ersetzt hat. Unstreitig hat er den Schaden i.H.v. 17.960,96 EUR gegenüber der Firma Rettungsdienst im Kreis H. reguliert.
b) Die Ersatzpflicht der Bekl. beschränkt sich auf 20 % des Schadens, denn bei einem durch mehrere Kfz verursachten Unfall richtet sich der Umfang der Ersatzpflicht gem. § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.
Diese Ersatzpflicht ist für keinen der Unfallbeteiligten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, denn dies setzt voraus, dass der Unfall durch ein für ihn unabwendbares Ereignis verursacht worden ist, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs, noch einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht und sowohl Halter als auch Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben.
aa) Der Zeuge K. hätte nach den Erkenntnissen des Sachverständigen den Unfall vermeiden können, wenn er bei Erkennbarkeit des Pkw B. M. umgehend eine Vollbremsung eingeleitet hätte.
bb) Ebenso war der Zusammenstoß für die Bekl. zu 2) vermeidbar, denn sie hätte nach den Erkenntnissen des Sachverständigen bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h und Durchführung einer Vollbremsung bei erstmaliger Sichtbarkeit des Rettungswagens ihr Fahrzeug rund sechs Meter vor der Kollisionsstelle anhalten können.
c) Für den Umfang der Ersatzpflicht ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der Fahrzeuglenker nur einen Faktor der Abwägung darstellt. Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 13.2.1996 – VI ZR 126/95, juris; Senat, Urt. v. 23.2.2016 – I-1 U 79/15, juris; OLG Hamm, Urt. v. 18.11.2003 – 27 U 87/03, juris). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich herleiten will (BGH, a.a.O.).
d) Auf Seiten der Bekl. ist dabei die durch einen Verkehrsverstoß gesteigerte Betriebsgefahr des Pkw B. M. zu berücksichtigen.
aa) Die Bekl. zu 2) hat entweder die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten oder entgegen von § 1 Abs. 2 StVO zu spät reagiert und dem Rettungswagen hierdurch nicht gem. § 38 Abs. 1 S. 2 StVO freie Bahn verschafft.
Der Rettungswagen war für die Bekl. zu 2) erstmals wahrnehmbar, als sie sich rund 32 Meter vor der späteren Kollisionsstelle befand und der Rettungswagen für sie sichtbar wurde. Eine vorherige Wahrnehmbarkeit des Martinshorns bestand hingegen nach den auf die Erkenntnisse des Sachverständigen gestützten Feststellungen des LG durch die besondere bauliche Situation im Kreuzungsbereich nicht, ohne dass dies angegriffen wird.
(1) Sofern die Bekl. zu 2) bei erstmaliger Sichtbarkeit des Rettungswagens umgehend eine Vollbremsung eingeleitet hat, hat ihre Ausgangsgeschwindigkeit 60 km/h betragen.
Die Bekl. wenden sich ohne Erfolg gegen die entsprechenden Erkenntnisse des Sachverständigen. Auch wenn dieser ...