Die Entscheidung ist aus Sicht des Personenschadensrechtlers nicht nur wegen des erheblichen Schmerzensgeldes (vor Abzug des Mitverschuldensanteils: 360.000 EUR), sondern auch wegen der mutigen Begründung des Verdienstausfallschadens von Interesse.
1. Gegen die Höhe des Schmerzensgeldes dürfte angesichts der katastrophalen Unfallfolgen im Ergebnis nichts einzuwenden sein, außer vielleicht, dass der Senat es versäumt hat, seine Bemessungsentscheidung in den Kontext vergleichbarer Judikate zu stellen. Tatsächlich hat etwa das LG Hamburg 2011 (NJW-Spezial 2012, 11) einer 19 Jahre alten Klägerin, die ein Schädelhirntrauma dritten Grades, ein Hirnödem, ein Toraxtrauma mit Lungenkontusion sowie eine Unterschenkelfraktur erlitten und erhebliche Spätfolgen zu ertragen hatte, ein Schmerzensgeld von 430.000 EUR zuerkannt. Und das LG Würzburg (DAR 2002, 74) hat 2001 einem 17 Jahre alten Kläger, der ebenfalls ein schweres Schädelhirntrauma nebst Gehirnschädigung mit dauerhaften Folgen u.a. einer spastischen Tetraparese erlitten hatte, neben einem Schmerzensgeld von ca. 250.000 EUR (500.000,00 DM) noch eine lebenslange Monatsrente in Höhe von etwa 500,00 EUR (1.000,00 DM) zuerkannt. Beide Entscheidungen zeigen, dass die von den Rostocker Richtern gewählte Summe in der Größenordnung durchaus vertretbar ist, auch wenn sie unter Berücksichtigung des Zeitablaufes eher an der Untergrenze dessen liegen dürfte, was heute andere Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannt hätten.
Man kann in solchen Fällen nur daran erinnern, dass das Schmerzensgeld ungeachtet seiner dogmatischen Zielsetzung (Ausgleichsfunktion) kein wirklicher Ausgleich im Sinne einer Restitution, sondern nur eine sehr unvollkommene Kompensation für die unabänderlichen immateriellen Unfallfolgen sein kann. Die Höhe dieser Kompensation ist nur zum Teil vom Ausmaß der Verletzungen und den Beeinträchtigungen abhängig, die das Unfallopfer erlitten und zu ertragen hat. Sie hängt daneben entscheidend von den gesellschaftlichen Vorstellungen über das ab, was das Gesetz eine "billige Entschädigung in Geld" nennt. Es ist Sache der Gerichte, diese Transformation des Immateriellen in das Materielle zu bewerkstelligen und einen Geldbetrag für etwas festzusetzen, was sich in Geld nicht fassen lässt. Der Anwalt der klagenden Partei ist angesichts der dabei zwangsläufig auftretenden Unsicherheiten gut beraten, wenn er keinen bestimmten Betrag fordert, sondern seinen Antrag auf die Benennung einer Mindestsumme beschränkt und im Übrigen nur auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes anträgt.
2. Die Festsetzung eines Verdienstausfallschadens setzt eine Prognose über die zukünftige Entwicklung voraus, die ebenfalls immer mit Ungewissheiten behaftet ist. Das Gesetz lässt ein Wahrscheinlichkeitsurteil genügen, das aber konkreter Anhaltspunkte bedarf. Die zu finden, muss umso schwerer fallen, je jünger das Unfallopfer ist. Bei einer 16-Jährigen können sich solche Anhaltspunkte bereits aus früheren Lebensäußerungen ergeben, auch wenn man weiß, dass sich die Vorstellungen Jugendlicher danach häufig noch ändern. Daneben gilt es, wie das OLG Rostock zutreffend feststellt, als zulässig, auf das soziale Milieu zu rekurrieren und aus dem Fortkommen der Eltern und Geschwister Schlüsse zu ziehen. Auch hier kommt es auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil an, das von Klägerseite mit allgemeinen Erfahrungen und Statistiken untermauert werden muss.
Bei der Berechnung des Verdienstausfallschadens gilt es, die weitere Entwicklung der Löhne im Auge zu behalten. Dem hat das OLG durch eine Dynamisierung der Rente Rechnung getragen. Bei der Erlangung einer fiktiven Beamtenstellung wird man überdies Beförderungen und einen Wechsel in eine höhere Besoldungsgruppe ins Auge fassen müssen. Dazu war in diesem Falle offenbar nichts vorgetragen; jedenfalls findet sich zu diesem Punkte nichts in den Urteilsgründen. Schließlich ist auch die zu erwartende steuerliche Belastung zu bedenken, die in dem Augenblick eintritt, in dem der Ausgleichsbetrag oder die Rente auf dem Konto des oder der Geschädigten eingeht. Man kann die erwartbare Belastung, wie das OLG Rostock dies wohl auf entsprechenden Vortrag der Klägerin getan hat, gleich in den Anspruch mit einberechnen. Man kann diese Belastung bei einer Nettoberechnung des Verdienstausfalls im Übrigen aber auch ausklammern und sich auf die Feststellung beschränken, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die auf die Entschädigung anfallende Steuer zu ersetzen (vgl. dazu BGH Urt. v. 8.6.2021 – VI ZR 924/20 in diesem Heft). Das ist im Zweifel der sicherste Weg.
zfs 12/2021, S. 678 - 684