ZPO § 258; BGB § 1812 Abs. 1 S. 1 § 1908i Abs. 1 S. 1; VVG § 192 Abs. 6
Leitsatz
1. Zur Zulässigkeit einer Klage auf künftige Entrichtung von Pflegetagegeldleistungen.
2. Eine vom Betreuer des Versicherungsnehmers erklärte Kündigung einer Pflegetagegeldversicherung bedarf für ihre Wirksamkeit der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.2021 – 8 U 1230/21
Sachverhalt
Die Parteien streiten über den Fortbestand einer Pflegetagegeldversicherung sowie über hieraus sich ergebende Ansprüche des Kl.s.
Der Vertrag sieht im Tarif "Pflege PREMIUM" die Zahlung von 33 EUR pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4 vor. Nachdem bei dem Kl. das Vorliegen der Voraussetzungen des Pflegegrades 4 seit dem 1.3.2019 festgestellt worden ist und er sich seit dem 23.4.2019 vollstationär in einer Pflegeeinrichtung befindet, erkannte die Bekl. ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 25.9.2019 an und erbrachte bedingungsgemäße Leistungen bis einschließlich Dezember 2019.
Die Betreuerin des Kl. erklärte mit Schreiben vom 8.7.2019 die ordentliche Kündigung des Versicherungsvertrages. Eine Genehmigung des Betreuungsgerichts lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor und wurde auch später nicht erteilt. Der Bitte der Betreuerin, die Kündigung rückgängig zu machen, kam die Bekl. nicht nach und berief sich auf eine Vertragsbeendigung zum 31.12.2019.
2 Aus den Gründen:
1. Der Klageantrag zu Ziffer II., dem das LG unter Ziffer 2. der Urteilsformel stattgegeben hat, ist zulässig gemäß § 258 ZPO. Diese Sichtweise ist schon deshalb geboten, weil es dem Kl. unter den Gesichtspunkten von effektivem Rechtsschutz und Prozessökonomie bei einem bereits begonnenen Versicherungsfall ermöglicht werden muss, seine Rechte frühzeitig zu wahren, ohne auf die – insoweit nachrangige – Feststellungsklage oder wiederholte Leistungsklagen angewiesen zu sein.
Der Klageantrag hat noch nicht fällige wiederkehrende vertragliche Geldzahlungsansprüche zum Gegenstand. Das Pflegetagegeld ist nicht von einer Gegenleistung abhängig, da mit Eintritt des Versicherungsfalls eine Beitragsfreistellung einsetzt. Die Grundlage der Leistungspflicht der Beklagten kann darüber hinaus nach Grund und Höhe mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden (…). Denn bei dem 81-jährigen, unter Betreuung stehenden Kl. ist die Pflegebedürftigkeit aufgrund schwerer Erkrankung ärztlich festgestellt worden, derzeit nach Pflegegrad 4 (nach § 61b Abs. 1 SGB XII bedeutet dies schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten). Er befindet sich seit mehr als zwei Jahren ununterbrochen in einer Einrichtung zur vollstationären Pflege. Dass diese Voraussetzungen des Versicherungsfalls zu Lebzeiten des Kl. wegfallen könnten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. In diesen Umständen liegt ein wesentlicher Unterschied zu Ansprüchen aus einer Krankentagegeld- oder Restschuldversicherung, bei der eine Klage auf zukünftige Leistung weithin für unzulässig gehalten wird, weil sich der Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit nur schwer verlässlich prognostizieren lasse (vgl. OLG Koblenz, VersR 2009, 104, 105 und VersR 2012, 1516: OLG Stuttgart, VersR 2008, 1343: OLG Saarbrücken, VersR 2014, 232 f.; …). Demgegenüber stellt die Pflegebedürftigkeit einer krankheitsbedingt schwerst beeinträchtigten Person in der Regel keinen lediglich vorübergehenden Zustand dar.
Im Übrigen ist es im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage nach § 258 ZPO nicht erforderlich, dass die Leistung unter allen Umständen mit Sicherheit geschuldet wird. Die Abhängigkeit der Leistung von vollstationärer Pflege, vom jeweiligen Pflegegrad und vom Erleben des Kl. sind dementsprechend als Bedingung in den Klageantrag und in die Urteilsformel aufgenommen worden. Damit ist etwaigen Aspekten des Schuldnerschutzes genüge getan.
2. Bei dem streitgegenständlichen Vertrag handelt es sich unstreitig um eine die gesetzliche Pflegeversicherung ergänzende private Zusatzversicherung, die der Absicherung gegen Leistungslücken und Restrisiken dient. Der Vertrag unterfällt daher nicht der Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI und konnte grundsätzlich durch den VN ordentlich gekündigt werden (§ 205 Abs. 1 Satz 1 VVG).
a) Zutreffend hat das LG jedoch festgestellt, dass die namens des Kl. durch die Betreuerin am 8.7.2019 erklärte Kündigung unwirksam war. Zwar bestand im Außenverhältnis zur Beklagten eine die Kündigungserklärung umfassende Vertretungsmacht (§§ 164 Abs. 1 Satz 1, 1902 BGB). Allerdings bedurfte die Kündigung darüber hinaus der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§§ 1812 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine solche Genehmigung i.S.v. § 184 Abs. 1 BGB ist unzweifelhaft nicht erteilt worden.
Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag begründet für den Kl. ein Recht, kraft dessen er eine Leistung verlangen kann (§ 1 Satz 1 VVG). Bei einer Kündigungserklärung handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft (…). Sie kann daher eine Verfügung darstellen, durch die unmittelbar auf ein Recht eingewirkt wird (vgl. hierzu BGH, NJW 2010, 1456). Demgem...