StVG vom 5.3.2003: § 7 Abs. 1; StVG vom 12.7.2021: § 19 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Ist der Schaden an einem Gebäude dadurch verursacht worden, dass der auf der Straße abgestellte und infolge eines Anstoßes durch ein Drittfahrzeug ins Rollen geratene Anhänger gegen das Gebäude geprallt ist, so hat sich in dem Geschehen die aus der Konstruktion des Anhängers resultierende Gefahr einer unkontrollierten Bewegung durch Einwirkung von Fremdkraft verwirklicht, die durch das Abstellen des Anhängers im öffentlichen Verkehrsraum noch nicht beseitigt war. Diese Gefahr wird vom Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG a.F. bzw. § 19 Abs. 1 Satz 1 StVG n.F. erfasst. (Rn 12)
BGH Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 87/22
1 Sachverhalt
[1] Der klagende Gebäudeversicherer nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht aufgrund eines Unfallereignisses vom 29.9.2017 auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch.
[2] Am Unfalltag war ein bei der Beklagten versicherter Anhänger auf der Straße H[…]gasse in W. ordnungsgemäß abgestellt. Gegen 22:45 Uhr befuhr der Fahrer eines Pkw die H[…]gasse. Er kam in der dortigen Linkskurve nach rechts von der Fahrbahn ab und stieß gegen das Gebäude mit der Hausnummer 12 sowie gegen den Anhänger. Durch den Aufprall rollte der Anhänger nach vorn und stieß gegen das bei der Klägerin versicherte Gebäude H[…]gasse 10. Hierdurch wurden das Eingangstor zum Grundstück sowie die Fassade des Gebäudes beschädigt. Die Klägerin erstattete dem Gebäudeeigentümer die für die Beseitigung der Schäden entstandenen Kosten.
[3] Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
2 Aus den Gründen:
[4] I Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG a.F., § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 86 Abs. 1 VVG zu. Der Schaden sei nicht beim Betrieb des Anhängers eingetreten. Die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG a.F. werde nicht schon durch jede Verursachung eines Schadens begründet, die im weitesten Sinne im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges stehe. Vielmehr trete eine Haftung erst dann ein, wenn ein Schadensereignis dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden könne.
[5] Bei der gebotenen wertenden Betrachtung sei der entstandene Gebäudeschaden dem Betrieb des Anhängers nicht zuzurechnen. Zwar bestehe bei einem Anhänger konstruktionsbedingt die Gefahr einer unkontrollierten Bewegung. Diese Gefahr werde grundsätzlich vom Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG a.F. erfasst, wenn sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Unfallverursachung im Verkehrsraum befunden habe. Im vorliegenden Fall bestehe aber die Besonderheit, dass der Anhänger durch einen anderen Verkehrsteilnehmer in Bewegung gesetzt worden sei. Der vor dem Haus mit der Nummer 12 abgestellte Anhänger sei nach dem Anstoß selbstständig bis zum Haus mit der Nummer 10 weiter gerollt. Der Fahrer des Pkw, der die Kontrolle über das von ihm geführte Fahrzeug verloren habe, habe das streitgegenständliche Unfallgeschehen maßgeblich bestimmt. Er habe – wenn auch ungewollt – im Rahmen des Unfallgeschehens die alleinige tatsächliche Verfügungsgewalt über den Anhänger innegehabt. Der Betriebsgefahr des ordnungsgemäß abgestellten Anhängers sei in diesem Zusammenhang lediglich eine ganz untergeordnete Bedeutung beizumessen, so dass eine Einstandspflicht nach § 7 Abs. 1 StVG a.F. ausnahmsweise nicht gerechtfertigt erscheine.
[6] II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG a.F. zu bejahen. Die Beschädigung des bei der Klägerin versicherten Gebäudes ist beim Betrieb des bei der Beklagten versicherten Anhängers eingetreten.
[7] 1. Voraussetzung der Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG in der bis 16.7.2020 geltenden Fassung (vgl. nunmehr § 19 Abs. 1 Satz 1 StVG) ist, dass bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, eines der in der Vorschrift genannten Rechtsgüter verletzt bzw. geschädigt worden ist.
[8] a) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen hat, ist das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" in Bezug auf Kraftfahrzeuge entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrze...