StPO § 261 § 267 Abs. 1
Leitsatz
1. Anforderungen an die Darstellung der Beweiswürdigung im Bußgeldurt. bei Verwertung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zur Fahreridentifizierung (Aufgabe der bisherigen Rspr. des Senats).
2. Angaben zum Verbreitungsgrad der der Beurteilung der Identität zugrunde gelegten morphologischen Merkmale im Urt. sind nur dann geboten, wenn der Sachverständige eine Wahrscheinlichkeitsberechnung angestellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens abgeleitet hat.
3. Gelangt der Sachverständige dagegen auf anderem Wege als durch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung zu seinem Ergebnis hinsichtlich der Frage der Identität, muss der Tatrichter, der sich dem Sachverständigengutachten anschließt, zunächst die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mitteilen, d.h. das ausgewertete Bildmaterial bzw. die Inaugenscheinnahme des Betroffenen und die vom Sachverständigen dabei herausgearbeiteten morphologischen Merkmale, die er einem Vergleich unterzogen hat. Sodann ist darzustellen, in welchem Maße der Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat, und welche Aussagekraft er ihnen zumisst, d.h. wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet.
(Leitsätze des Einsenders)
Thüringer OLG, Beschl. v. 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11
Sachverhalt
Die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – erließ im Jahr 2009 gegen den Betroffenen drei Bußgeldbescheide wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften. Durch Bußgeldbescheid v. 25.3.2009 wurde eine am 9.12.2008 um 16.04 Uhr auf der BAB 71 begangene Überschreitung um 53 km/h mit einer Geldbuße von 150 EUR und einem Fahrverbot von einem Monat geahndet, durch Bußgeldbescheid v. 26.3.2009 eine am 7.1.2009 um 20.35 Uhr auf der BAB 71 begangene Überschreitung um 28 km/h mit einer Geldbuße von 75 EUR und durch Bußgeldbescheid v. 2.4.2009 eine am 15.2.2009 um 21.47 Uhr auf der BAB 71 begangene Überschreitung um 27 km/h mit einer Geldbuße von 80 EUR. Der Betroffene legte gegen alle drei Bußgeldbescheide fristgerecht Einspruch ein.
Durch Beschl. v. 1.10.2009 verband das AG die drei Verfahren.
Das AG holte ein Sachverständigengutachten zur Identität des Betroffenen mit dem auf den Messfotos abgebildeten Fahrzeugführer ein. In seinem schriftlichen Gutachten v. 29.10.2009 gelangte der Sachverständige für Anthropologie Prof. Dr. F R, B, zu dem Ergebnis, dass der auf den Messfotos abgebildete Fahrzeugführer und der Betroffene "sehr wahrscheinlich" identisch seien. Im Hauptverhandlungstermin v. 11.11.2010 erläuterte der Sachverständige sein Gutachten und änderte seine Einschätzung bezüglich einer der drei Taten dahin, dass insoweit eine Identität von Betroffenem und abgebildeter Person sogar "höchst wahrscheinlich" sei.
Im selben Termin verurteilte das AG den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 53 km/h zu einer Geldbuße von 150 EUR und ordnete insoweit ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer an, wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 28 km/h zu einer Geldbuße von 75 EUR und wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 27 km/h zu einer Geldbuße von 80 EUR.
Am 18.11.2010 legte der Betroffene durch seinen Verteidiger gegen das Urt. v. 11.11.2010 Rechtsbeschwerde ein und begründete diese am 25.1.2011 mit näher ausgeführten Verfahrensrügen und der auf fehlerhafte Tatsachenfeststellung gestützten Sachrüge.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Verurteilung zu Geldbußen von 75 EUR und 80 EUR richtet, ist sie gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zugelassen worden. Zugleich ist das Verfahren gem. § 80a Abs. 3 OWiG auf den Senat übertragen worden.
Der Senat hat durch Beschl. v. 16.5.2011 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Fragestellung beschlossen, ob es zur Feststellung der Identität eines Betroffenen mit dem auf dem von einer Verkehrsüberwachungsanlage gefertigten Foto abgebildeten Fahrzeugführer möglich und ggf. erforderlich ist, Aussagen zur Seltenheit oder Häufigkeit eines zur Identifizierung herangezogenen Merkmals in der Bevölkerung zu treffen. Mit der Erstellung des Gutachtens ist Frau Prof. Dr. W, Universität F, Medizinische Fakultät, Anthropologie, beauftragt worden.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hebt das OLG das Urt. des AG mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verweist die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das AG zurück.
2 Aus den Gründen:
"… II. … Die – zum Teil nach Zulassung – statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat – vorläufig – Erfolg."
Die auf die Sachrüge hin veranlasste Prüfung des angefochtenen Urt. durch das Rechtsbeschwerdegericht ergibt einen durchgreifenden Fehler hinsichtlich der Beweiswürdigung. Das angefochtene Urt. hält den Anforderungen an die Darstellung eines anthropologischen Identitätsgutachtens in den schriftlichen Urteilsgründen nicht stand.
Nach st. Rspr. des BGH muss...