AUB 95 § 7 § 8
Leitsatz
Wird gem. 3.7. I (3) AUB 95 wegen einer Vorinvalidität ein Abzug von der Gesamtinvalidität vorgenommen, kommt eine weitere Anspruchskürzung gem. § 8 AUB 95 wegen der die Vorinvalidität begründenden Gesundheitsschädigung nicht in Betracht.
LG Dortmund, Urt. v. 27.10.2011 – 2 O 299/10
Sachverhalt
Der KI., der seit seinem 17. Lebensjahr an Morbus Bechterew mit Versteifung der Bewegungssegmente der Wirbelsäule leidet, nimmt die Bekl. wegen der gesundheitlichen Folgen eines Rodelunfalls in Anspruch, der zur Zerreißung in einem Wirbelsäulensegment und zu einer Deckplattenkompression im Bereich eines Wirbelkörpers sowie zu Frakturen im Bereich der Gelenkfacetten geführt hat. Der gerichtliche Sachverständige hat eine unfallbedingte (nach Abzug der sich aus dem Morbus Bechterew ergebenden vorbestehenden) Invalidität von 15 % angenommen.
2 Aus den Gründen:
“… 2. Die von der Bekl. begehrte weitere Leistungsminderung gem. § 8 AUB, weil der vorbestehende Morbus Bechterew als Krankheit oder Gebrechen an der unfallbedingten Gesundheitsbeschädigung oder deren Folgen im Ausmaß von mindestens 25 % mitgewirkt hat, ist hingegen nicht vorzunehmen. Anlass für dieses Begehren waren Ausführungen im schriftlichen Sachverständigengutachten, wonach sich die Unfallverletzung aufgrund der Vorinvalidität deutlich gravierender als bei einer nicht vorgeschädigten Wirbelsäule ausgewirkt hat, da durch die in den übrigen Abschnitten versteifte Wirbelsäule eine Kompensationsfähigkeit durch angrenzende Bewegungssegmente nicht mehr gegeben war, sondern im Gegenteil durch die Versteifung eine verstärkte Angulierung mit Vorverlagerung des Kopfes beim Kl. resultiert. Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen des Sachverständigen überhaupt eine Leistungskürzung nach § 8 AUB 95 rechtfertigen können. Jedenfalls scheidet eine Leistungskürzung nach § 8 AUB 95 neben der Berücksichtigung von Vorinvalidität gem. § 7 I (3) AUB 95 bereits aus Rechtsgründen aus.
Die AUB 95 geben allerdings keine unmittelbare Auskunft über das Verhältnis der Leistungskürzung wegen Vorinvalidität einerseits und der Leistungskürzung wegen Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen andererseits. Dem Aufbau der AUB, die zunächst in § 7 des Ausmaß der versicherten Invalidität mit Berücksichtigung der Vorinvalidität regeln und erst im Anschluss hieran den Kürzungstatbestand nach § 8 AUB folgen lassen, lässt sich immerhin entnehmen, dass die Leistungskürzung nach § 7 I (3) AUB Vorrang von der Leistungskürzung nach § 8 AUB hat (vgl. OLG Karlsruhe, r + s 2004, 474). Insoweit besteht in Rspr. und Literatur auch Einigkeit. Umstritten ist indes, ob dieses Vorrangverhältnis dahingehend zu verstehen ist, dass primär die Leistungskürzung nach § 7 I (3) AUB vorzunehmen ist und nachrangig die Leistungskürzung nach § 8 AUB – das umgekehrte Rangverhältnis kann je nach Formulierung der AUB bei Anwendung von Progressionsstaffeln zu höheren Leistungsansprüchen führen (BGH, VersR 200, 444; OLG Saarbrücken, VersR 1998, 836) – oder ob die Anwendung der Leistungskürzung gem. § 7 I (3) AUB eine weitere Leistungsminderung nach § 8 AUB ausschließt, soweit dieselbe Vorschädigung sowohl als Vorinvalidität als auch als mitwirkende(s) Krankheit oder Gebrechen einzustufen ist. Denn die Vorinvalidität unterscheidet sich von dem Gebrechen bzw. der Krankheit nach § 8 AUB nur dadurch, dass die Vorinvalidität immer eine andauernde Funktionsbeeinträchtigung bedeutet, während die Krankheit oder das Gebrechen nach § 8 AUB dauerhaft sein kann, aber nicht sein muss, so dass beide Kürzungstatbestände theoretisch auf ein und dieselbe Vorschädigung anwendbar sein können.
Ein Teil von Rspr. und Literatur nimmt an, dass sowohl § 7 I (3) AUB als 18 auch § 8 AUB kumulativ, wenn auch in dem genannten Rangverhältnis Anwendung finden können (OLG Schleswig, OLGR Schleswig 2006, 396; OGH, VersR 2009, 997 – bei gleicher Bedingungslage –; Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., Bd. 9 Ziffer 3 AUB 2008 Rn 14 und Ziffer 2.1 AUB 2008 Rn 238; Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., Ziffer 2 AUB 99 Rn 40 und Ziffer 3 AUB 99 Rn 6). Demgegenüber steht ein anderer Teil von Rspr. und Literatur auf dem Standpunkt, dass Vorinvalidität einerseits und Mitwirkung von Krankheit und Gebrechen andererseits nicht doppelt berücksichtigt werden dürfen (OLG Karlsruhe r + s 2004, 474, 475; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Ziffer 3 AUB 2008 Rn 3; Rixecker, zfs 2004, 575 in Anm. zu OLG Düsseldorf, zfs 2004, 574).
Das erkennende Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an, wonach die Anwendung von § 7 I (3) AUB – Vorinvalidität – die Berücksichtigung von § 8 AUB ausschließt. Dies folgt aus dem Verständnis des durchschnittlichen VN von den AUB 95 bei deren aufmerksamer und um Verständnis bemühter Durchsicht (vgl. zur Auslegung von Versicherungsbedingungen BGH VersR 2009, 623; r + s 2008, 25). Der verständige VN kann den AUB, die eine entsprechende Regelung gerade nicht treffen, nicht entnehmen, dass dieselbe vorbestehende körperliche Beeinträchtigung doppelt lei...