In der Vergangenheit war die rechtliche Behandlung von Beförderungsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit Anschlussflügen höchst umstritten. Wie bereits im Vorjahresartikel kurz erwähnt, hatte der EuGH sich in der Sache "Air France/Folkerts" mit seiner Entscheidung vom 26.2.2013 mit dieser Problematik befasst. Im dortigen Fall war die Maschine in Deutschland mit "nur" zweieinhalbstündiger Verspätung gestartet und entsprechend verspätet in Paris angekommen. In der Folge verpasste die betroffene Passagierin dann aber den gebuchten Anschlussflug von Paris nach Sao Paulo (Brasilien). Sie erreichte ihr Endziel schließlich erst mit einer Verspätung von elf Stunden. Der EuGH entschied dazu, dass im Fall eines Fluges mit Anschlussflügen die pauschale Ausgleichszahlung anhand der Verspätung gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel (Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggastes) bemessen werden muss. Der EuGH beantwortete die ihm vorgelegten Fragen somit dahingehend, dass einem Fluggast eines Flugs mit Anschlussflügen, dessen Verspätung zum Zeitpunkt des Abflugs unterhalb der in der Verordnung festgelegten Grenzen lag, der aber sein Ziel mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit erreicht hat, eine Ausgleichszahlung zusteht. Diese Ausgleichszahlung hängt nämlich nicht vom Vorliegen einer Verspätung beim Abflug ab.
Vor dem Hintergrund des beschriebenen EuGH-Urteils nahm Air France dann in dem das Vorabentscheidungsersuchen auslösenden Verfahren vor dem BGH die Revision zurück.
Der BGH hat die Rechtsprechung des EuGH zur Anschlussflug-Problematik nun aber in zwei anderen Urteilen umsetzen können:
Dem Urteil des BGH vom 7.5.2013 lag ein Sachverhalt zugrunde, wonach die betroffenen Reisenden mit der Iberia von Berlin-Tegel nach Madrid und von dort aus weiter nach San Jose (Costa Rica) fliegen wollten. Der Start des Fluges von Berlin nach Madrid erfolgte mit eineinhalb Stunden Verspätung. In der Folge konnte der Anschlussflug nach San Jose nicht mehr erreicht werden, weil der Einsteigevorgang bereits beendet war, als die Reisenden am Gate ankamen. Die Reisenden wurden dann erst am Folgetag nach San Jose befördert. Der BGH gab zwar den Vorinstanzen Recht, dass dem beklagten Luftfahrtunternehmen die Beförderungsverweigerung ("Nichtbeförderung" gem. Art. 4 der Verordnung) nicht zur Last falle, allerdings bejahte der BGH – anders als die Vorinstanzen – im Ergebnis den Ausgleichsanspruch unter dem Gesichtspunkt der großen Verspätung. Der BGH stellt klar, dass es in derartigen Fällen unerheblich ist, ob der Anschlussflug selbst verspätet ist oder überhaupt in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
Diese Textpassage dürfte in der Praxis zu einer immensen Ausweitung des faktischen Anwendungsbereichs der Europäischen Fluggastrechteverordnung führen, da somit also auch solche Verspätungsfälle erfasst sind, die nur auf dem ersten Abschnitt im Gebiet eines Mitgliedsstaats (mit zumindest geringer Verspätung) angetreten werden und es ansonsten vollständig außerhalb der Gemeinschaft aufgrund dieser geringen Anfangsverspätung zum Verpassen eines Anschlussfluges kommt.
Mit Urteil vom 17.9.2013 entschied der BGH dann über folgenden Fall: Die betroffenen Fluggäste hatten (wieder bei der Iberia) eine Flugreise von Miami über Madrid nach Düsseldorf gebucht. Der Abflug von Miami nach Madrid verzögerte sich "nur" um 1 Stunde 20 Minuten und die Reisenden erreichten Madrid mit entsprechender Verspätung. Der dortige Weiterflug konnte aufgrund der ersten Verspätung nicht mehr rechtzeitig erreicht werden. Schließlich kamen die Reisenden (mit einem anderen Flug) dann etwa 7 ½ Stunden später als geplant in Düsseldorf an. Die Kläger begehrten jeweils die Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 lit. c der Verordnung in Höhe von 600 EUR. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hatte ihr stattgeben. Nachdem der BGH das Revisionsverfahren zunächst ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt hatte, nahm er sein Vorabentscheidungsersuchen dann in Anbetracht des zwischenzeitlich in der Sache "Air France/Folkerts" ergangenen Urteils des EuGH wieder zurück. Der BGH schloss sich der Position des EuGH an und bestätigte ausdrücklich sein eigenes Urteil vom 7.5.2013. Fluggästen eines verspäteten (in den Anwendungsbereich der Fluggastrechtverordnung fallenden) Fluges steht ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung zu, soweit sie infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen. Dies gilt auch, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst wird. Der BGH stellt auch ausdrücklich klar, dass sich Bedenken gegen diese Auslegung der Fluggastrechteverordnung weder aus dem Primärrecht der Europäischen Union noch aus dem Grundgesetz ergeben.