" … Der Streit der Parteien betrifft nur noch die Tatsachenfrage, ob die Kl. in physischer und/oder psychischer Hinsicht für die Entstehung der unfallbezogenen Verletzung und Gesundheitsbeeinträchtigung vorerkrankungsbedingt eine Veranlagung hatte, die sich entweder kausal oder zumindest mitursächlich für den Eintritt der materiellen und immateriellen Schäden ausgewirkt hat. Diese Frage ist nach dem Ergebnis der umfassenden Beweisaufnahme vor dem LG eindeutig zu verneinen, ohne dass es für eine abschließende Streitentscheidung noch einer ergänzenden Tatsachenaufklärung durch Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses bedarf. Entgegen der seitens der Bekl. vertretenen Ansicht ergibt sich für die Kl. kein prozessualer Nachteil aus dem Umstand, dass sie sich nicht mit der Beiziehung eines solchen Verzeichnisses einverstanden erklärt und ihre private Krankenversicherung, die X., nicht von deren Schweigepflicht entbindet. Die Weigerungshaltung der Kl. führt in prozessualer Hinsicht insb. nicht dazu, dass das streitige Verteidigungsvorbringen der Bekl. im Hinblick auf eine Prädisposition für die eingetretenen Körper- und Gesundheitsschäden als erwiesen angesehen werden kann. …"

In mehrfacher Hinsicht fehl geht der Berufungsangriff der Bekl., bei Beachtung des Gebotes eines fairen Verfahrens hätte das LG die Kl. darauf hinweisen müssen, bei einer Vereitelung der Vorlage des streitigen Vorerkrankungsverzeichnisses wegen der Verweigerung einer Entbindung der Krankenversicherung von der Schweigepflicht sei das Verteidigungsvorbringen als richtig zu unterstellen, es hätten Vorerkrankungen in einem Ausmaß vorgelegen, welche bei Hinwegdenken des Unfalls zeitnah Folgen ausgelöst hätten, die den tatsächlich eingetretenen Unfallfolgen entsprochen hätten. Die Kl. ist weder aus prozessualen noch aus materiell-rechtlichen Gründen gehalten, den von ihr verlangten Beitrag zu der Vorlage des Verzeichnisses zu leisten, um der Bekl. die notwendige Erkenntnisgrundlage für die Vervollständigung und für den Nachweis ihrer Behauptung einer psychischen und physischen Prädisposition für die eingetretenen materiellen und immateriellen Schadensfolgen zu verschaffen. Die Bekl. ist mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass sie einem grundlegenden Irrtum über Art und Ausmaß der Mitwirkungspflicht der Kl. an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes unterliegt. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehalten, der Bekl. die für den angestrebten Prozesssieg benötigten Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ebenso wenig hätte das LG im Wege einer Anordnung gem. § 142 ZPO darauf hinwirken müssen, dass die Kl. durch eine Befreiung ihrer privaten Krankenkasse von deren Schweigebefugnis dafür Sorge trug, dass das streitige Vorerkrankungsverzeichnis in den Rechtsstreit eingeführt werden konnte.

1) Einerseits lässt der Senat nicht außer Acht, dass es eine Krankenvorgeschichte der Kl. gibt und dass die damit in Zusammenhang stehenden Einzelheiten zwangsläufig dem Wissen der Bekl. entzogen sind, weil sie die Privatsphäre der Kl. betreffen. Auch steht außer Frage, dass im Rahmen der Kausalitätsprüfung die Frage von Bedeutung ist, ob sich eine Vorerkrankung des Anspruchstellers physischer oder psychischer Art kausal oder zumindest mitursächlich für die Entstehung einer körperlichen oder gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgewirkt hat, die sich nach einer Unfallverletzung diagnostizieren lässt. Sollte ein Unfallopfer etwa eine entsprechende psychische Prädisposition aufgewiesen haben, so kann dieser Umstand im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung als Minderungsgesichtspunkt berücksichtigt werden, wenn sich das Unfallereignis in einer psychischen Folgebeeinträchtigung auswirkt. Auch steht außer Frage, dass die Unterlagen einer – hier privaten – Krankenversicherung aus nahe liegenden Gründen am besten geeignet sind, über die Krankenvorgeschichte eines Unfallopfers Auskunft zu geben.

2) Davon zu trennen ist aber die Frage, ob ein Unfallopfer aus prozessualen oder materiell-rechtlichen Gründen verpflichtet ist, insb. durch eine Schweigepflichtentbindungserklärung seinen Beitrag dazu zu leisten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung in den Besitz des Vorerkrankungsverzeichnisses gelangt oder dass dieses zumindest in den Rechtsstreit zu dem Zweck eingeführt wird, der Gegenseite eine fundierte und ggf. beweiskräftige Stellungnahme zu einer Kausalitätsproblematik im Hinblick auf gesundheitliche Vorschäden zu ermöglichen. Diese Fragestellung ist zu Lasten der Bekl. zu verneinen.

3) Ausweislich des letzten Schreibens der X-Krankenversicherung v. 25.1.2011 an das LG ist das Versicherungsunternehmen grds. bereit, “einen Ausdruck über den Schadenverlauf der Krankenversicherung‘ der Kl. zu erstellen; gleichzeitig macht das Unternehmen aber seine in Aussicht gestellte Mitwirkung zu Recht von der Voraussetzung abhängig, dass die Kl. eine Befreiung von der Schweigepflicht erklärt. Nach § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO haben Persone...

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