BGB § 242 § 810; SGB VII § 188; VVG § 119 Abs. 3; ZPO § 142 § 402 § 427
Leitsatz
1. Der Geschädigte ist in einem Verkehrsunfallrechtsstreit nicht verpflichtet, gegenüber dem Anspruchsgegner seine private Krankenversicherung von der Schweigepflicht hinsichtlich etwaiger Vorerkrankungen zu entbinden. Deshalb kann ihm bei einer Verweigerung der Entbindung nicht ein prozessualer Nachteil, sei es eine Beweislastumkehr oder ein unterstellter Nachweis der Richtigkeit der Behauptung des Anspruchsgegners hinsichtlich etwaiger Vorschädigungen, erwachsen.
2. Der Beweisnot des Anspruchsgegners hinsichtlich der seinem Einblick entzogenen Bereiche der etwaigen Krankheitsbiografie wird durch die Annahme einer sekundären Darlegungslast des Anspruchsstellers über die ihm allein zustehenden Kenntnisse seiner etwaigen Vorschädigungen Rechnung getragen. Unterlässt er ihm zumutbaren näheren Angaben, wird sein bestrittener Vortrag hierzu als unzureichend behandelt und die Darstellung des Anspruchsgegners als unstreitig behandelt.
3. Ansonsten ist keine Partei gehalten, dem Gegner für dessen Prozesssieg das Material zu verschaffen.
4. Eine materiell-rechtliche Pflicht des Geschädigten zur Vorlage eines Vorerkrankungsverzeichnisses kann nicht aus § 810 BGB i.V.m. § 422 ZPO, aus § 119 VVG und aus § 188 SGB VII hergeleitet werden. § 810 BGB kann als Grundlage für eine Vorlagepflicht schon deshalb nicht herangezogen werden, da das Vorerkrankungsverzeichnis keine Urkunde ist, die im Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners errichtet worden ist. § 119 VVG bestimmt lediglich, dass der Dritte, der einen Anspruch gegen den VN geltend macht, gegenüber dem VR zur Auskunft verpflichtet ist, soweit dies zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung zur Befreiung der ihn behandelten Ärzte oder der Krankenkasse von der Schweigepflicht wird hierdurch nicht begründet.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.2013 – I-1 U 115/12
Sachverhalt
Die Kl. hat die Bekl. auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes und Verdienstausfalls sowie auf Erstattung eines Hauhaltsführungsschadens wegen eines Unfalls in Anspruch genommen. Die als Lehrerin tätige Kl. erlitt hierbei eine HWS-Distorsion, als ein bei der Bekl. versicherter Lkw vor einer roten Ampel auf ihren Pkw auffuhr. Zwischen den Parteien ist die volle Einstandspflicht der Bekl. dem Grunde nach unstreitig.
Die Kl. befand sich nach dem Unfall für zwei Monate in stationärer Behandlung. Unfallbedingt hatte sie eine posttraumatische Belastungsstörung und einen psychogenen Schiefhals (Torticollis). Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus unterzog sie sich zunächst psychotherapeutischen Behandlungen bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit. Sie litt unter Schwindel, Übelkeit, Geräuschempfindlichkeit, Schlafstörungen und Angstträumen, weiterhin unter schmerzhaften Bewegungsstörungen und neurologischen Ausfallerscheinungen im Schulter- und Halsbereich. Sie begab sich in neurologische und danach auch in psychiatrische Behandlung und wurde nach amtsärztlicher Untersuchung zwei Jahre nach dem Unfall wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den einstweiligen Ruhezustand versetzt.
Gegen ihre Eintrittspflicht der Höhe nach wandte die beklagte Haftpflichtversicherung des Schädigers ein, die Kl. habe bereits vor dem Unfall an einer psychischen Erkrankung gelitten, die ohnehin zur Dienstunfähigkeit der Kl. geführt hätte. Sie beantragte, ein Verzeichnis der Vorerkrankungen anzufordern und der Kl. aufzugeben, ihre private Krankenversicherung dazu von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Die Kl. erklärte hierzu, sie stimme einer Beiziehung der bei ihrer Krankenversicherung im PC hinterlegten Aufstellung ihrer Vorerkrankungen nicht zu.
Das LG hat der Klage nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu den Unfallfolgen im Wesentlichen stattgegeben. Den Beweisantrag auf Vorlage eines Vorerkrankungsverzeichnisses hat das LG zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Bekl. habe keinen Anhaltspunkt für ihre Behauptung vorgetragen, die Kl. habe an einer psychischen Erkrankung gelitten, die ohne den Unfall und seine Folgen binnen kurzem zu ihrer Dienstunfähigkeit geführt hätte. Den Bekundungen des Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Kl. an keiner psychischen Erkrankung gelitten habe und vor dem Unfall schwierige Situationen gemeistert habe, insb. neben ihrer Berufstätigkeit fünf Kinder groß gezogen habe. Mit ihrer Berufung verfolgt die Bekl. die Abweisung der Klage und meint, dass die Kl. pflichtwidrig ihre Mitwirkung verweigert habe, so dass von Vorerkrankungen der Kl. auszugehen sei, die ohne das Unfallereignis kurzfristig zu ihrer Dienstunfähigkeit geführt hätten.
Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Der Streit der Parteien betrifft nur noch die Tatsachenfrage, ob die Kl. in physischer und/oder psychischer Hinsicht für die Entstehung der unfallbezogenen Verletzung und Gesundheitsbeeinträchtigung vorerkrankungsbedingt eine Vera...