Das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht weist aber mit dem Bußgeldkatalog nach der BKatV eine zusätzliche Besonderheit und korrelierend dazu eine bisher nicht einheitlich entschiedene Rechtsfrage für Geldbußen von mehr als 250 EUR auf. Denn es sind zwar ab dieser Größenordnung in der Regel Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich. Jedoch befürworten etliche Gerichte eine Einschränkung dieses Grundsatzes, wenn das ausgeurteilte Bußgeld dem Regelsatz des BKat entspricht. Diese Diskussion soll im Folgenden kurz erläutert werden:
Einige Oberlandesgerichte vertreten nach wie vor den festen Grundsatz der 250-EUR-Grenze wie oben beschrieben, wenngleich sich schon Modifikationen ergeben haben. Teilweise wird von diesen Gerichten dabei die gegenteilige Ansicht u.a. des OLG Hamm nicht einmal erwähnt, sogar trotz vorhandener divergierender Ansichten nicht einmal eine Vorlage an den BGH erwogen.
Die gegenteilige Ansicht, maßgeblich formuliert durch das OLG Hamm, beinhaltet die Überlegung, dass bei Verhängung der Regelgeldbußen nach der BKatV – unabhängig von der Bußgeldhöhe im Einzelfall – grundsätzlich keine näheren Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen in den Urteilsgründen erforderlich sind, außer es lägen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse außergewöhnlich gut oder schlecht seien. Dies ist zwar bisher nicht eindeutig von anderen Oberlandesgerichten bestätigt worden, allerdings hat das OLG Jena diese Überlegung bereits 2004 postuliert, 2011 bestätigt und das OLG Dresden hat in einer aktuellen Entscheidung in eine gleiche Richtung argumentiert: Nur bei Geldbußen über 500 EUR, die nicht Regelgeldbußen sind (!), seien Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erforderlich. Äußere sich der Betroffene hierzu nicht, könne der Tatrichter gegebenenfalls eine Schätzung vornehmen. Das OLG Oldenburg hat sich ebenfalls angeschlossen und die Rechtsprechung des OLG Hamm sogar auf die Variante ausgedehnt, dass auch im Fall des § 19 OWiG, also einem wegen zweier verwirklichter Verstöße durch eine Tat auf mehr als 250 EUR erhöhten Regelbußgeld, keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu treffen sind.
Das OLG Hamm gründet seine Überzeugung auf folgende, in drei Unterpunkten zusammengefasste Überlegungen:
(a) Nach § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG kommt den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nur untergeordnete Bedeutung zu und auch das Regelsatzsystem des BKat misst diesen letztlich keine Bedeutung bei. Auch die gesetzgeberische Konzeption eines Regelsatzsystems, wie es die BKatV vorsieht, spricht für die Lösung des OLG Hamm. Ein Regelfall i.S.d. BKatV setzt voraus, dass die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv oder in der Person des Betroffenen liegende Besonderheiten aufweist. Soll von dem gesetzgeberisch vorgesehenen Regelsatz abgewichen werden, bedarf es konkreter Anhaltspunkte, dass auch kein Regelfall vorliegt. Nur wenn Anhaltspunkte dem Gericht zur Kenntnis gelangen (wobei das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht natürlich danach zu fragen haben wird), hat es einen Grund, über eine Abweichung vom Regelfall nachzudenken. Ansonsten muss und darf es – in Ermangelung anderer Ermittlungsmöglichkeiten – von einem Regelfall ausgehen.
(b) Macht der Betroffene keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, so kann das Gericht diese nicht erzwingen. Selbst das Druckmittel einer weiteren Sanktionierung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 111 OWiG bei fehlender Angabe des Berufs läuft leer. Denn die bloße Angabe des Berufs würde regelmäßig keine ausreichenden Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen erbringen: Ein Beruf steht noch nicht für ein bestimmtes Gehalt, zudem wären mögliche Verbindlichkeiten weiterhin unklar. Des Weiteren würde die Angabe eines Berufs noch nicht einmal bedeuten, dass der Betroffene nicht etwa doch arbeitslos ist, denn bei Arbeitslosigkeit wäre der zuletzt ausgeübte Beruf anzugeben. Ermittlungen seitens des Gerichts in Form von Zeugenvernehmung im familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld zur Berufstätigkeit, Ermittlung und Vernehmung des Arbeitgebers oder gar eine Wohnungsdurchsuchung bei dem Betroffenen, um etwaige Gehaltsabrechnungen etc. aufzufinden, wäre bei Regelbußgeldern kaum angemessen und damit unverhältnismäßig, weil einem vergleichsweise geringen staatlichen Anspruch auf Ahndung der Ordnungswidrigkeit stark stigmatisierende oder Eingriffe in hochwertige Grundrechte gegenüberstünden.
(c) Schließlich gereicht dem Betroffenen sein Schweigen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in prozessordnungswidriger Weise zum Nachteil, da dieses lediglich zur Fortgeltung der gesetzlichen Regelvermutung zumindest noch durchschnittlicher wirtschaftlicher Verhältnisse führt, welche eine Abweichung vom Regelsatz nicht gebieten.
Meines Erachtens ...