StVG § 7 Abs. 1 § 17 Abs. 1, 2, 3 § 18 Abs. 1; StVO § 2 Abs. 2
Leitsatz
1. Wird ein Motorradfahrer in einer Rechtskurve zu weit nach links getragen und vollzieht er deutlich jenseits der gedachten Fahrbahnmitte eine Vollbremsung, so dass es letztlich auf der Gegenfahrbahn mit einem seinerseits im Bereich der Mitte seiner Fahrspur fahrenden Motorrad zu einer Kollision kommt, lässt dies typischerweise auf einen Fahrfehler des Führers des seine Fahrspur verlassenden Motorrades schließen.
2. Dass dieser Fahrzeugführer lediglich auf ein in der Annäherung seinerseits auf der Gegenfahrbahn fahrendes Fahrzeug im Gegenverkehr reagiert, ist ein atypischer Geschehensablauf, der von dem Fahrzeugführer darzulegen und zu beweisen ist.
OLG Hamm, Urt. v. 8.9.2015 – 9 U 131/14
Sachverhalt
In einer Rechtskurve wurde ein Motorradfahrer zu weit nach links getragen und leitete deshalb eine Vollbremsung ein. Er geriet dabei auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einem entgegenkommenden Motorrad, das mittig auf seiner Fahrspur fuhr. Der von seiner Fahrbahn abkommende Motorradfahrer gab an, er habe vor dem Abkommen der von ihm befahrenen Fahrspur auf ein in der Annäherung befindliches Fahrzeug im Gegenverkehr reagiert, was der Senat für nicht erwiesen ansah.
Die Klage des von seiner Fahrspur abgekommenen Motorradfahrers auf Ersatz seiner Schäden hatte nur i.H.v. 25 % Erfolg. Diese Entscheidung des LG fand die Billigung des Senats.
2 Aus den Gründen:
" … Das LG ist bei dieser Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bekl. zu einer Quote von 25 % haften und der Kl. sich einen Mithaftungsanteil von 75 % anrechnen lassen muss. Dagegen ist aus Sicht des Senats nichts zu erinnern."
aa. Auf Seiten der Bekl. ist in der Tat lediglich die Betriebsgefahr des vom Bekl. zu 1) geführten Motorrades Honda zu berücksichtigen.
Ein die Betriebsgefahr erhöhendes unfallursächliches Verschulden des Bekl. zu 1) lässt sich dagegen – davon geht letztlich auch der Kl. selbst aus und stellt die diesbezüglichen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht in Frage – mangels genauer Rekonstruierbarkeit des Herganges nicht feststellen. Dies gilt namentlich für einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO. Dass der Bekl. zu 1) in der Annäherungsphase zunächst auf der Fahrspur des Kl. gefahren ist, stellt lediglich eine vom Sachverständigen aufgezeigte theoretische Möglichkeit dar, welche der Kl., der selbst angibt, keine konkrete Erinnerung an das Unfallgeschehen zu haben, nicht etwa aus eigener Wahrnehmung und Erinnerung, sondern letztlich ins Blaue hinein behauptet hat. Ein schuldhafter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass der Bekl. zu 1) unmittelbar vor der Kollision ausweislich der Unfallspuren nicht ganz rechts, sondern etwa mittig auf seiner Fahrspur gefahren ist. Denn das Gebot, “möglichst weit rechts zu fahren’ bedeutet nicht, dass innerhalb der eigenen Fahrspur äußerst rechts gefahren werden muss; vielmehr besteht insoweit Spielraum und genügt ein angemessener Abstand zur Mittellinie, der hier ausweislich der Spurenlage zum Unfallzeitpunkt sicherlich bestand (vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 2 StVO, Rn 35 ff. und Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27. Rn 60 f., jeweils m.w.N.).
bb. Auf Seiten des Kl. ist zunächst ebenfalls die Betriebsgefahr seines Motorrades zu berücksichtigen.
Ein diese Betriebsgefahr erhöhendes unfallursächliches Verschulden des Kl., das dieser letztlich zulässigerweise nur mit Nichtwissen hat bestreiten können und auch bestritten hat, ist auch aus Sicht des Senats anzunehmen.
Konkrete positive Feststellungen lassen sich ausweislich des überzeugenden und auch von keiner Seite in Zweifel gezogenen Sachverständigengutachtens insoweit allerdings nicht treffen, und zwar weder i.S. eines Geschwindigkeitsverstoßes noch i.S. eines vorwerfbaren Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot oder eines sonstigen Aufmerksamkeits- bzw. Reaktionsverschuldens; denn es besteht nach den Ausführungen des Sachverständigen die Möglichkeit, dass die klägerische Unfalldarstellung zutrifft, der Kl. also dadurch – nicht vorwerfbar – zu einem ihn letztlich auf die Gegenfahrbahn tragenden Bremsmanöver veranlasst worden ist, dass der Bekl. zu 1) seinerseits bei erstem Sichtkontakt auf der Fahrbahn des Kl. gefahren ist.
Der Senat ist aber mit dem LG der Auffassung, dass hier aufgrund des laut Sachverständigengutachtens feststehenden Kollisionsortes auf der Gegenfahrbahn (aus Sicht des Kl.) und auch der bereits über der gedachten Fahrbahnmitte liegenden vorkollisionären Spurzeichnung des klägerischen Krades der Anschein für einen vorwerfbaren Verkehrsverstoß des Kl. – konkret einen schuldhaften Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot – spricht und dieser Anschein auch nicht erschüttert ist.
Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verke...