StPO § 136a Abs. 1 § 265 Abs. 1; StGB § 316; StVG § 24a Abs. 2
Leitsatz
Wird ein Beschuldigter im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten, ohne dass zuvor ein Fahrfehler festgestellt werden konnte, so begründet eine freiwillige Mitwirkung an neurologisch-physiologischen Test zur Überprüfung seiner Fahrtüchtigkeit in der Annahme, sich auf diese Weise sowohl be- als auch entlasten zu können, jedenfalls dann keine verbotene Einflussnahme auf den Willen i.S.d. § 136a Abs. 1 StPO, wenn anhand der gesamten Fallumstände die Möglichkeit der Abstandnahme von einem Ordnungswidrigkeitenverfahren bestand.
OLG Celle, Beschl. v. 30.11.2017 – 1 Ss 61/17
Sachverhalt
Das AG hatte den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG den Angeklagten unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat das OLG Celle das Urteil des LG teilweise aufgehoben und in diesem Umfang die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
" … II. 1. Die vom Angeklagten zulässig erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 1 StPO ist begründet."
Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Mit Strafbefehl des AG Bückeburg vom 23.6.2016 ist dem Angeklagten eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr infolge Genusses berauschender Mittel (Cannabinoide) gem. § 316 Abs. 2 StGB zur Last gelegt worden. Nach Einspruch des Angeklagten hat das AG mit Urt. v. 21.12.2016 den Angeklagten sodann wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel nach § 24a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft erfolgte mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 Abs. 2 StGB. Im Berufungsverfahren ist der Angeklagte hingegen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden, ohne dass sich im Hauptverhandlungsprotokoll, dem insoweit gem. § 274 StPO negative Beweiskraft zukommt, ein rechtlicher Hinweis dahingehend findet, dass das Gericht eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung in Erwägung ziehe. Auch ein Hinweis außerhalb der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage 2017, § 265 Rn 32; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn 58) ist nicht erfolgt. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich darüber hinaus auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes nach dem Gang des Verfahrens auf andere Weise bekannt gewesen sein könnte.
b) Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von der mit Anklage und Eröffnungsbeschluss angenommenen Schuldform abweichen, so muss es den Angeklagten gem. § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzurichten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265, Rn 29; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 265 Rn 11; BGH VRS 49 (1975) 184).
Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich auf den entsprechenden Hinweis hin hier anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Denn das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO kann nur ausnahmsweise verneint werden, wenn unter Beachtung der für das Revisionsgericht gebotenen Zurückhaltung zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass der Angeklagte sich bei rechtzeitigem Hinweis nicht anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH NStZ 1995, 247; KK-StPO/Kuckein, StPO, § 265 Rn 32–33).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar hat der Angeklagte sich nicht zur Sache eingelassen, sodass – sollte er diese Verteidigungsstrategie beibehalten – nicht ersichtlich ist, wie er sich hätte anders verteidigen können als geschehen. Indes kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei rechtzeitigem Hinweis auf den veränderten Vorwurf einer vorsätzlichen im Gegensatz zur fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr sein bisheriges Verteidigungsverhalten geändert und ihm dadurch eröffnete andere Möglichkeiten der Verteidigung gegen vorsätzliches Handeln genutzt und so ein ihm günstigeres Ergebnis erzielt haben könnte.
Die Annahme des bedingten Vorsatzes beruht zum einen auf der Menge des festgestellten THC-Blutserumsspiegels von 11 ng/ml, zum anderen auf den durch den Zeugen B. eruierten kognitiven und motorischen Ausfällen des Angeklagten im Rahmen seiner motorischen-physischen Leistungstestung. Dass der Angeklagte sich gegen den durch das LG daraus gezogenen Schluss, er habe zumindest mit seiner Fahruntüchtigkeit gerechnet und sich damit abgefunden, bei einem rechtzeitigen und vollständigen Hinweis möglicherweise mit Erfolg zur Wehr gesetzt hätte, lässt sich bei dieser Sachlage nicht ausschließen.
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