BGB § 254; StVO § 10 § 17 Abs. 1
Leitsatz
Stürzt ein bei Dunkelheit vom Fahrbahnrand anfahrender Radfahrer auf die Fahrbahn, weil er einen dort ohne Licht fahrenden anderen Radfahrer übersieht, ohne dass es zur Berührung beider Räder und Radfahrer kommt, ist von einer Mithaftung des das unbeleuchtete Rad bewegenden Radfahrers von 30 % auszugehen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 26.7.2017 – 14 U 208/16
Sachverhalt
Der Sturz des Kl. mit seinem Fahrrad hatte zu schweren Verletzungen geführt, die der Kl. zum Anlass für eine Klage zum Ersatz von 50 % des ihm entstandenen Schadens in Höhe von 50 % nahm. Das LG legte eine Eigenhaftungsquote des Kl. von 70 % zugrunde. Nach dem Hinweisbeschluss des Senats, der die von dem LG angenommene Eigenhaftungsquote des Kl. von 70 % billigte, nahm der Kl. die von ihm eingelegte Berufung mit dem Ziel der Zuerkennung weiterer 20 % zurück.
2 Aus den Gründen:
" … Die Berufung des Bekl. ist offensichtlich unbegründet."
1. Die vom LG ausgeurteilte Haftungsquote von 30 % zu seinen Lasten ist nicht zu beanstanden. Der Sorgfaltsverstoß des Bekl. liegt darin begründet, dass er am 26.6.2015 entgegen § 17 Abs. 1 S. 1 StVO bei Dunkelheit mit seinem unbeleuchteten Fahrrad die K. Straße in Hamburg befuhr. Die Beleuchtungspflicht dient nicht nur dem eigenen Schutz des Radfahrers, sondern ebenfalls demjenigen anderer Verkehrsteilnehmer und der Vorbeugung von Kollisionen. Auf die Beachtung der Beleuchtungspflicht darf der Verkehr bei Dunkelheit vertrauen Kommt es wegen eines Verstoßes gegen die Beleuchtungspflicht zu einem Verkehrsunfall, so entfällt die Haftung nicht schon deshalb, weil es an einer Berührung der beteiligten Personen oder Fahrzeuge fehlt oder der Schaden auf einer Fehlreaktion des Unfallgegners beruht, die sich bei objektiver Betrachtung als nicht erforderlich erweist (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2005 – VI ZR 168/04, NJW 2005, 2081 f. m.w.N. zum Tatbestandsmerkmal “bei dem Betrieb‘ in § 7 Abs. 1 StVG). Der Pflichtenverstoß muss sich nur unfallursächlich ausgewirkt und das Schadensgeschehen insgesamt mitgeprägt haben.
Das ist vorliegend der Fall und ergibt sich bereits aus der eigenen Sachverhaltsschilderung des Bekl. selbst am Unfallort (“Er sah mich, erschrak und stürzte‘) sowie im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung. Der Sturz des Kl. ereignete sich in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftauchen des nicht beleuchteten Bekl. aus der Dunkelheit. Nicht entscheidungserheblich sind dabei die zwischen den Parteien streitigen Umstände, in welcher konkreten Entfernung sich der Bekl. zum Zeitpunkt des Sturzes befand, mit welcher Geschwindigkeit er sich näherte und wo er schließlich anhielt. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob der Bekl. mittig die Straße befuhr, wie der Kl. behauptet hat, und ob es bei dessen Fortsetzung der Fahrt überhaupt zu einer Kollision der beiden Fahrräder gekommen wäre. Denn auf der Hand liegt trotz intakter Straßenbeleuchtung, dass der sich nähernde Bekl. bei ordnungsgemäßer Beleuchtung seines Fahrrades sehr viel früher von dem Kläger wahrgenommen worden wäre und dieser sich nicht infolge seines plötzlichen Auftauchens aus der Dunkelheit erschreckt hätte, wie es beide Parteien in Übereinstimmung mit dem Zeugen W. geschildert haben.
2. Bei der gemäß § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Haftungsabwägung hat das LG zu Recht den Mitverantwortungsanteil des Kl., der beim Einfahren in den fließenden Verkehr gemäß § 10 S. 1 StVO die größtmögliche Sorgfaltspflicht einzuhalten hatte, mit 70 % sehr viel schwerer bewertet als das Fehlverhalten des Bekl. Ein vollständiges Zurücktreten des von dem Bekl. ausgehenden Verursachungsbeitrages hält der Senat im Hinblick auf dessen Gefährlichkeit und das unstreitige Verschulden in Übereinstimmung mit der ersten Instanz allerdings nicht für gerechtfertigt … .“
3 Anmerkung:
1. Zur Haftung bei einem berührungslosem Unfall vgl. BGH zfs 2017, 315; BGH zfs 2011, 75 Bouwmann zfs 2017, 603.
2. Die in § 17 Abs. 1 StVO statuierte Verpflichtung, bei Dämmerung, Dunkelheit oder wenn die Sichtverhältnisse es erfordern, die vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen zu benutzen, gilt für alle Verkehrsteilnehmer, richtet sich nicht nur an motorisierte Verkehrsteilnehmer, sondern auch an Fahrradfahrer (vgl. König in Hentschel/König/Dauer "Straßenverkehrsrecht", 44. Auflage § 17 StVO Rn 13). Dafür spricht neben der fehlenden Beschränkung auf motorisierte Verkehrsteilnehmer in § 17 Abs. 1 StVO der weite Schutzzweck der Beleuchtungspflicht, der Eigenschutz des Normadressaten und wegen der leichteren Erkennbarkeit der Schutz des übrigen fließenden und ruhenden Verkehrs (vgl. Bouska VD 73, 315). Die lichttechnischen Einrichtungen für Fahrräder werden in § 67 StVZO aufgeführt. Ob die früher vertretene Auffassung, wonach ein Fahrrad ohne Beleuchtungseinrichtung jedenfalls geschoben werden darf (so noch BGH VM 1959, 16) wird aufgrund der nunmehr geltenden §§ 67, 23 Abs. 1 S. 4 StVZO in Zweifel gezogen (vgl. König a.a.O. § 17 StVO Rn 13).
3. Dem ohne Beleucht...