ZPO § 114 S. 1; RVG § 45 § 48 § 55

Leitsatz

1. Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig i.S.d. § 114 S. 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.

2. Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden.

Hess. LAG, Beschl. v. 14.11.2011 – 13 Ta 372/11

Sachverhalt

Die Kl. hatte beim ArbG Darmstadt am 21.6.2010 durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage wegen einer ihr erklärten Kündigung und auf Weiterbeschäftigung erhoben (AZ.: 2 Ca 295/10). Am 23.6.2010 erhob die wiederum durch ihren Prozessbevollmächtigten vertretene Kl. eine weitere Klage auf Entfernung dreier Abmahnungen aus ihrer Personalakte (AZ: 2 Ca 298/10). Das ArbG erließ im Verfahren 2 Ca 295/10 ein Urt. In der Berufungsinstanz schlossen die Parteien einen Vergleich, durch den auch der Rechtsstreit 2 Ca 298/10 mit erledigt wurde. Der Kl. war in beiden Rechtsstreiten für den ersten Rechtszug antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt worden.

Der Prozessbevollmächtigte der Kl. beantragte in beiden Rechtsstreiten nach dem jeweiligen Gegenstandswert die Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen. Die Urkundbeamtin der Geschäftsstelle setzte die Gebühren und Auslagen nur einmal fest, wobei sie die anwaltlichen Gebühren nach dem sich aus der Addition der Einzelwerte ergebenden Gesamt-Gegenstandswert berechnete. Dies hat sie damit begründet, eine Klageerweiterung wäre statt der Erhebung einer zweiten Klage der kostengünstigere Weg der Rechtsverfolgung gewesen. Das ArbG hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

[10] "… Die Beschwerde ist begründet."

[11] Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 2 Ca 295/10 und 2 Ca 298/10 des ArbG Darmstadt getrennt abgerechnet aus der Staatskasse vergütet werden.

[12] In beiden Rechtsstreiten ist der Kl. jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Beschwerdekammer gem. § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren.

[13] Die Beschwerdekammer hat ihre bislang anderslautende Rspr. dazu kürzlich aufgegeben (vgl. Beschl. v. 2.11.2011 – 13 Ta 369/11). Sie schließt sich jetzt im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des BAG RVGreport 2011, 275 (Hansens) = NZA 2011, 422 und RVGreport 2012, 36 (ders.) =NJW 2011, 3160 an.

[14] Richtig bleibt allerdings immer noch der Grundsatz, dass die Parteien gem. § 91 ZPO gehalten sind, die Kosten des Verfahrens angemessen niedrig zu halten. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind. Jede Partei ist gehalten, solche zumutbaren und Kosten sparenden prozessualen Möglichkeiten wahrzunehmen, die sie auch wahrnehmen würde, wenn sie “aus eigener Tasche' prozessieren würde.

[15] Wenn daher eine bemittelte Partei, die vernünftig abwägt und die möglichen Kostenfolgen berücksichtigt, begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anhängig zu machen statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern, ist diese Möglichkeit auch der unbemittelten Partei zu eröffnen. Dabei können sich insb. unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Rechtsverfolgung sachliche Gründe ergeben, eine gesonderte Klage zu erheben statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern. In der Regel wird die Vermeidung der Überfrachtung eines Verfahrens durch eine Vielzahl inhaltlich nicht miteinander zusammenhängender Streitgegenstände berechtigten Anlass geben, eine gesonderte Klage zu erheben. Die Gefahr einer sonstigen Überlastung des Rechtsstreits kann ebenfalls dafür sprechen, mehrere Rechtsstreitigkeiten anhängig zu machen. So wird es oft liegen, wenn die Entscheidung über verschiedene Streitgegenstände zwar voneinander abhängt, sich aber hinsichtlich der nachrangigen Streitgegenstände besondere Probleme stellen. Auch eine Prozesspartei, die Kosten selbst zu tragen hat, wird vernünftigerweise ein neues Verfahren anhängig machen, wenn durch die Klageerweiterung eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung über den ursprünglich geltend gemachten Streitgegenstand zu besorgen ist, weil nicht sicher mit einem Teilurt. gerechnet werden kann. Bei Bestandsstreitigkeiten, für die nach den §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG eine besondere Prozessförderungspflicht besteht, wird eine gesonderte Klageerhebung zumeist angebracht erscheinen. In jedem Fall hat der ASt. die Gründe darzulegen, die ihn zur Erhebung einer gesonderten Klage veranlasst haben (BAG RVGreport 2012, 36).

[16] Die Frage, ob ein Verstoß ge...

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