1. Die Entscheidung enthält eine umfassende Darstellung des Problems der Verhaltenspflichten des Geschädigten bei der Veräußerung des unfallbeschädigten Kfz. Überzeugend folgt die Entscheidung der weit überwiegend vertretenen Ansicht, dass der Geschädigte grds. das Unfallfahrzeug zu dem von dem Sachverständigen geschätzten Preis veräußern darf. Dafür spricht es, dass nach der gesetzlichen Rollenverteilung die Restitution allein dem Geschädigten zugewiesen ist, er "Herr des Restitutionsgeschehens" ist. Ihm ist die sog. Ersetzungsbefugnis gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB übertragen, wonach er – ohne von einer Genehmigung der Haftpflichtversicherung des Schädigers abhängig zu sein – die Veräußerung des Unfallfahrzeugs zu dem Preis vornehmen darf, den ein Sachverständiger als Wert auf dem regionalen allgemeinen Markt ermittelt hat (vgl. BGH zfs 2005, 600; BGH zfs 2010, 84; OLG Düsseldorf zfs 1993, 338; OLG Hamm zfs 1997, 371). Die Begrenzung auf den regionalen Markt als Beurteilungsbasis ist durch die BVSK-Richtlinie in Zweifel gezogen worden, die dafür plädierte, dass der überregionale Markt und die Restwertbörse des Internets die Grundlage für die Schätzung des Realwertes bilden sollen (vgl. zur Ungültigkeit dieser Berechnungsmethode OLG Köln VersR 2004, 1145; Gebhardt, DAR 2002, 295; Riedmeyer, DAR 2002, 43). Da der Gutachter bei der Restwertschätzung nur solche Angebote einbeziehen muss, die auch sein Auftraggeber berücksichtigen müsste, scheidet die Prüfung des überregionalen Marktes und erst recht das Internet als Informationsquelle für die Schätzung des erzielbaren Restwertes aus (vgl. BGH zfs 2005, 184; BGH zfs 2009, 327).
2. Die Rspr. hatte eine Schadensgeringhaltungsobliegenheit des Geschädigten für den Fall angenommen, dass der Geschädigte sich einen höheren Erlös aus der Veräußerung eines Unfallfahrzeugs anrechnen lassen müsse, den er bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines Sondermarktes (überregional, Internet) ohne besondere Anstrengung erzielt hat (vgl. BGH zfs 2005, 184). Präzisiert wurde diese Auswirkung der Schadensgeringhaltungspflicht des Geschädigten dadurch, dass er im Einzelfall von einer grundsätzlichen Verwertung des Unfallfahrzeugs zu dem von dem Sachverständigen geschätzten Wert Abstand nehmen müsse und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten ergreifen müsse (vgl. BGH VersR 2010, 963). Damit sind höhere Verwertungsangebote der Haftpflichtversicherung des Schädigers angesprochen. Dass diese Einschränkung der Entscheidungsmöglichkeit noch nicht dazu führt, dass er abwarten muss, ob die Haftpflichtversicherung des Schädigers die Veräußerung des Unfallfahrzeugs zu dem in dem Schadensgutachten geschätzten Betrag "genehmigt", ist eine notwendige Folge der Befugnis des Schädigers, über die Art der Restitution und auch über die Verwendung des erhaltenen Schadensersatzbetrages zu verfügen.
Immerhin wird aber mit der angenommenen Erheblichkeit eines ohne besondere Anstrengung erzielbaren Restwerterlöses, der bei der Schadensabrechnung zu berücksichtigen ist (vgl. dazu BGH VersR 2010, 1197) anerkannt, dass dem Haftpflichtversicherer des Schädigers, ohne ihm eine Möglichkeit zum Regulierungsaufschub einzuräumen, die Chance gegeben werden muss, den geschätzten Restwertbetrag zu "überbieten". Das setzt die Kenntnis von dem Gutachten und seinen Bewertungsgrundsätzen voraus, so dass die bisher überwiegende Verneinung einer Verpflichtung des Geschädigten zur Weiterleitung des Gutachtens vor der Veräußerung an den Haftpflichtversicherer des Schädigers nur eingeschränkt aufrecht erhalten wenden kann (vgl. dazu 2c des Urteils). Hatte der Geschädigte im Wettlauf mit der Zeit das Unfallfahrzeug zu dem in dem Gutachten geschätzten Betrag veräußert, bevor das Gutachten dem Haftpflichtversicherer zugegangen ist, kommt ein höheres Restwertangebot des Haftpflichtversicherers zu spät. Ein Verstoß des Geschädigten gegen die Schadensgeringhaltungspflicht liegt nicht vor, da er auf die Schätzung des Gutachters vertrauen darf (vgl. BGH VersR 2010, 30).
Geht ein höheres Restwertangebot des Haftpflichtversicherers des Schädigers vor der Veräußerung ein, hängt dessen Akzeptanz von der Einhaltung der Voraussetzungen ab, dass der Geschädigte ohne überobligationsmäßige Anstrengung das höhere Restwertangebot des VR annehmen kann. Das Fahrzeug muss kostenfrei von dem Abnehmer am Standort abgeholt und bar bezahlt werden (vgl. AG Flensburg zfs 2001, 210; Hillmann/Schneider, Das verkehrsrechtliche Mandat – Bd. 2 – Verkehrszivilrecht, 6. Aufl., Rn 246). Als "Arbeitseinsatz" des Geschädigten wird lediglich ein Telefongespräch zur Vereinbarung eines Abholtermins angesehen (AG Flensburg a.a.O.). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Geschädigte grds. zur Annahme des Angebots der Haftpflichtversicherung des Schädigers verpflichtet (vgl. OLG Hamm NZV 1993, 432 f.; OLG Hamm NZV 2009, 183).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 3/2016, S. 142 - 147