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Die deutsche Justiz arbeitet im internationalen Vergleich schnell. Die durchschnittliche Verfahrensdauer in erster Instanz bei zivil- und handelsrechtlichen Streitigkeiten gehört mit unter 200 Tagen zu den kürzesten in der Europäischen Union. Dies ist erfreulich. Aber ist es auch ein Grund, sich darauf auszuruhen und den Status quo einfach nur zu halten?
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Jeder Praktiker, gleichgültig ob Richter oder Rechtsanwalt, kennt die unbefriedigende Situation, wenn sich Verfahren in die Länge ziehen und Akten nicht "vom Tisch zu bekommen" sind. Beschleunigung ist kein Selbstzweck, jedoch sind langdauernde Verfahren für alle Beteiligten, insbesondere aber für den Rechtsuchenden, der auf (s)eine Entscheidung wartet, unbefriedigend. Mag sich auch im Einzelfall aufgrund schwieriger Sach- und Rechtslage eine überdurchschnittliche zeitliche Ausdehnung des Prozesses nicht verhindern lassen, so findet doch das Gros der Verzögerungen seine Ursache in Umständen, die überwiegend verfahrensorganisatorischer Natur sind.
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Der vorliegende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die typischen Verzögerungsgründe im Verkehrszivilprozess und legt aus anwaltlicher Sicht dar, wie sich Verzögerungen vermeiden lassen. Hierzu wird zum einen auf "Optimierungswerkzeuge" eingegangen, die das geltende Recht (ZPO) bereits zur Verfügung stellt. Zum anderen wird aber auch eine Forderung an den Gesetzgeber erwogen.
I. Typische Quellen der Prozessverzögerung
1. Der Sachverständigenbeweis
Die Wahrscheinlichkeit der Einholung eines Sachverständigenbeweises ist in Verkehrsunfallsachen besonders hoch. Es gibt kaum ein Verfahren, in dem dieser Beweis nicht in Gestalt eines medizinischen, verkehrsanalytischen oder schadensbewertenden Gutachtens zu erheben ist.
Die Durchführung dieser Beweiserhebung begegnet einer Fülle potenziell verfahrensverzögernder Umstände. Der Beginn der Verzögerung liegt oft bereits in der Formulierung des Beweisbeschlusses. Häufig wird insbesondere bei medizinischen Gutachten zur Klärung der Frage, ob eine Verletzung unfallursächlich ist oder nicht, dem Sachverständigen nicht oder unzutreffend mitgeteilt, welches Beweismaß er zu beachten hat. Ist beispielsweise eine unfallbedingte Primärverletzung streitig, muss der Geschädigte zum Beweis der Unfallbedingtheit seiner Verletzung das Beweismaß des § 286 ZPO erfüllen. Ist eine unfallbedingte Primärverletzung hingegen unstreitig, muss er "nur" das Beweismaß des § 287 ZPO zum Beweis der Unfallbedingtheit erreichen. Von der Wahl des zutreffenden Beweismaßes hängt nicht selten Erfolg oder Misserfolg des Prozesses ab. Wird das Beweismaß dem Sachverständigen nicht oder nicht zutreffend mitgeteilt, bedarf es weiteren, zur Verzögerung des Prozesses führenden Schriftwechsels; unter Umständen ist sogar eine Ergänzung des Gutachtens oder eine mündliche Befragung des Sachverständigen erforderlich. Hier könnte insbesondere für medizinische Fragen die Aufstellung von Mindestanforderungen an ein Gutachten – wie im Kindschaftsrecht – und die Angabe des jeweils einzuhaltenden Beweismaßes Abhilfe schaffen.
Auch die Auswahl und Beauftragung des Sachverständigen birgt Verzögerungsrisiken. Die Zivilprozessordnung legt in §§ 404, 404a ZPO die Auswahl des Sachverständigen sowie die Leitung seiner Tätigkeit in die Hand des Gerichts. Das Gericht muss sich somit zunächst die Frage stellen, welcher Gutachter im konkreten Fall über die notwendige Qualifikation zur Beurteilung der streitigen Tatsache verfügt, und es muss unter Umständen mehrere Sachverständige kontaktieren, um den geeigneten zu finden. Kontaktieren bedeutet dabei aber regelmäßig nicht bloß eine fernmündliche Anfrage, sondern ist grundsätzlich mit dem Übersenden der Prozessakten verbunden, da der Sachverständige erst anhand der darin enthaltenen Informationen beurteilen kann, ob der Auftrag in sein Sachgebiet fällt oder nicht.
Zwar ist der Sachverständige nach § 407a Abs. 1 S. 2 ZPO gehalten, das Gericht unverzüglich zu verständigen, wenn dies nicht der Fall ist, jedoch wird der Begriff der Unverzüglichkeit von manchen Sachverständigen nicht selten sehr großzügig ausgelegt, sei es aus Gründen der Arbeitsüberlastung oder aber infolge büroorganisatorischer Defizite. So geht, aus welchen Gründen auch immer, Zeit verloren, Zeit (häufig Monate), in der die Anfrage bei möglichen anderen Sachverständigen wegen der im Falle des nach § 407a Abs. 1 ZPO positiven Prüfungsergebnisses eintretenden Bindungswirkung blockiert ist.
Die Regelung des § 407a Abs. 1 S. 2 ZPO eröffnet dem Gericht aufgrund des Rechtsbegriffes "unverzüglich", der ja mit "ohne schuldhaftes Zögern" in § 121 Abs. 1 BGB legaldefiniert ist, nicht die Möglichkeit, den Gutachter an eine konkrete Frist zu binden, innerhalb derer er seiner Prüfungspflicht im Sinne der Vorschrift nachzukommen hat. Allerdings ist das Gericht nicht gehindert, den Sachverständigen bereits mit der Aktenübersendung aufzufordern, die Beauftragung für den Fall, dass der Auftrag in dessen Sachgebiet fällt, innerhalb einer konkret gesetzten, die Unverzügl...