BGB § 823 § 840 Abs. 2; SGB VII § 106 Abs. 3
Leitsatz
1. Der Begriff der "gemeinsamen Betriebsstätte" i.S.v. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII meint betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder stillschweigend durch bloßes Tun unterstützen. Parallele Tätigkeiten, die sich nur beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen nicht. Voraussetzung für die Haftungsprivilegierung ist eine sog. Gefahrengemeinschaft.
2. Bei dem Beladen eines Lkw mit tonnenschweren Papierrollen mittels eines Gabelstaplers und den absprachegemäßen Tätigkeiten des beteiligten Lkw-Fahrers (u.a. Öffnen der Türen des Aufliegers und Freimachen der Ladefläche) handelte es sich nicht mehr um bloße Vorbereitungshandlungen des Ladevorganges, sondern um arbeitsteilige "Aktivitäten", die bewusst und gewollt bei der Beladung im Sinne einer "gemeinsamen Betriebsstätte" ineinandergreifen.
OLG Schleswig, Urt. v. 15.9.2016 – 7 U 117/15
Sachverhalt
Die klagende Trägerin der Unfallversicherung nimmt die Bekl. aus übergegangenem Recht aufgrund eines über sie versicherten Arbeitsunfalles des Zeugen B auf dem Gelände der Bekl. zu 1), an dem der Bekl. zu 2) als Gabelstaplerfahrer beteiligt war, in Anspruch.
B befand sich als Lkw-Fahrer der Fa. S auf dem Hafengelände, um Papierrollen zu laden. Beim Einfahren auf das Hafengelände wurde er zu dem Ort eingewiesen, wo er die Ladung in Empfang nehmen sollte. B verständigte sich mit dem Bekl. zu 2) dahin, dass er noch die Türen des Aufliegers öffnen und die Ladefläche ordnen müsse, als es aus zwischen den Parteien streitigen Gründen zu dem Unfall kam. Beim Rückwärtsfahren des von dem Bekl. zu 2) geführten Gabelstaplers geriet der rechte Unterschenkel des Zeugen B zwischen das linke Rad der hinteren Lenkachse und das Kontergewicht des Gabelstaplers und wurde dort eingeklemmt. B erlitt schwere Verletzungen, derentwegen er auf der Grundlage von 30 % MdE eine Rente von 500 EUR monatlich erhält. Die Parteien haben darum gestritten, ob den Bekl. zu 2) ein Verschulden an dem Unfall treffe und ob die Bekl. die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII für sich in Anspruch nehmen können.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Im Ergebnis zutreffend hat das LG die Klage abgewiesen. Mangels übergangsfähiger materiell-rechtlicher Ansprüche ihres Versicherten gegen die Bekl. kann die Kl. keinen erfolgreichen Regress nehmen."
Auch der hilfsweise geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch steht der Kl. nicht zu.
Dem Bekl. zu 2. kommt die Haftungsprivilegierung gem. § 106 Abs. 3 SGB VII zugute. Es greifen die sich aus §§ 104, 105 SGB VII ergebenden Haftungsbeschränkungen (u.a. Haftung nur für eine vorsätzlich Verursachung des Versicherungsfalls) für Unternehmer (§ 104) sowie andere im Betrieb tätige Personen (§ 105). Voraussetzung dafür ist, dass Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer “gemeinsamen Betriebsstätte‘ verrichten.
Nach gefestigter Rspr. des BGH (BGH, VI ZR 483/12, Urt. v. 23.9.2014, juris, Rn 18 m.w.N.) erfasst der Begriff der “gemeinsamen Betriebsstätte‘ betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist aber ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinandertreffen. Eine “gemeinsame Betriebsstätte‘ ist nach allgemeinem Verständnis mehr als “dieselbe Betriebsstätte‘; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solche in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als “gemeinsame‘ Betriebsstätte rechtfertigt. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigenden verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt. Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung mit anderen) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann. Der Haftungsausschluss knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigen bei konkreten Arbeitsvorgängen in der konkreten Unfallsituation gegeben ist, die die “gemeinsame Betriebsstätte‘ kennzeichnet.
Gemessen daran lag in der konkreten Unfallsituation eine “gemeinsame Betriebsstätt...