VVG § 188
Leitsatz
Hat sich der VR nach den AUB 2008 das Recht auf Neubemessung bei der Erstfestsetzung der Invaliditätsentschädigung nicht vorbehalten, kann er später, wenn sich im Prozess des VN eine geringere Invalidität ergibt, eine Überzahlung nicht kondizieren (Anschluss an OLG Frankfurt, Urt. v. 18.9.2008 – 3 U 206/06, juris Rn 15).
OLG Oldenburg, Urt. v. 21.12.2016 – 5 U 96/16
Sachverhalt
Der versicherte Ehemann der Kl. erlitt am 27.5.2008 einen Unfall, bei dem er mit dem Sprunggelenk des rechten Fußes umknickte. Auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens erbrachte die Bekl. am 12.1.2005 eine Invaliditätsleistung i.H.v. 5/10 des Fußwertes ohne sich eine Neubemessung – wie in den AVB vorgesehen – vorzubehalten. Die Kl. hat klageweise eine weitere Invaliditätsentschädigung auf der Grundlage eines vermeintlichen Fußwertes von 15/20 begehrt. Ein gerichtliches Sachverständigengutachten vom 20.1.2016 kam zu dem Ergebnis einer wesentlich geringeren Beeinträchtigung der Beweglichkeit des rechten Fußes und veranschlagte einen Fußwert von 3/10. Daraufhin erhob die Bekl. Widerklage auf teilweise Rückzahlung.
2 Aus den Gründen:
" … Die Bekl. hat keinen Bereicherungsanspruch gegen die Kl., weil die Neubegutachtung im gerichtlichen Verfahren mit 3/20 Fußwert einen um 2/20 niedrigeren Fußwert als bei Erstbemessung ergeben hat, denn die Bekl. hat sich bei Erstfestsetzung die Neubemessung nicht vorbehalten."
Nach den im vorliegenden Fall geltenden AUB 2008 der Bekl. kann der VR – anders als der Versicherte – die Neubemessung nur unter der zusätzlichen, erschwerenden Bedingungen verlangen, dass er sich dieses Recht bei Erstbemessung vorbehalten hat (vgl. Ziff. 7.2.1., Anlagenband).
Umstritten ist, welche Bedeutung dieser Klausel beigemessen wird, wenn – wie hier – der VR sich dieses Recht im konkreten Fall nicht vorbehalten hat, sich aber im Prozess, den der Versicherte innerhalb der Dreijahresfrist angestrengt hat, weil er mit der Erstbemessung nicht einverstanden war, zugunsten des VR ein niedrigerer Wert als bei Erstfestsetzung ergibt. Während die herrschende Meinung der Ansicht ist, dass der fehlende Vorbehalt einer Rückforderung nicht entgegenstehe, und deswegen der VR die Überzahlung im Wege der Widerklage kondizieren könne (Jacobs, VersR 2010, 39, 40; ders., Unfallversicherung, Ziff. 9 Rn 113; ihm folgend: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 28. Aufl., AUB 2008 Nr. 9 Rn 11; Bruck/Möller-Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 188 Rn 34 a.E.; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., 9 AUB Rn 2,) hat das OLG Frankfurt (Urt. v. 18.9.2008, 3 U 206/06 – juris Rn 15; zustimmend Kloth, jurisPR-VersR 4/2009 Anm. 5) die Ansicht vertreten, der VR sei auch in diesem Fall an die Erstfestsetzung gebunden, wenn er sich das entsprechende Recht nicht bei Erstfestsetzung vorbehalte habe.
Der Senat, der in der Vergangenheit der herrschenden Meinung gefolgt ist (OLG Oldenburg VersR 1998, 1274), hält an dieser Auffassung nicht weiter fest und schließt sich der Ansicht des OLG Frankfurt an. Sie erscheint dem Senat vorzugswürdig.
Nach gefestigter Rspr. des BGH sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN die Allgemeinen Bedingungen bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. … Der solchermaßen umschriebene VN wird angesichts des Wortlauts der Klausel regelmäßig nicht auf die Idee verfallen, dass er sich durch sein Neufestsetzungsverlangen im Prozess dem Risiko einer Verböserung aussetzt, wenn sich der VR sein eigenes Recht nicht ausdrücklich vorbehalten hat. Nach dem Wortlaut der Klauseln wird der VN nach Erstfestsetzung ohne Vorbehalt vielmehr annehmen dürfen, dass er im Verhältnis zum VR hinsichtlich der Erstfestsetzung eine unanfechtbare Position erlangt hat, denn ist ein Vorbehalt des VR nicht erfolgt, hat der VN eine Rückforderung durch den VR nicht zu fürchten. Es dürfte insoweit nach Ansicht des Senats – unabhängig von der Frage, ob der Erstbemessung die Qualität eines Anerkenntnisses zukommt oder nicht – außer Streit stehen, dass jedenfalls jener VR, der sich die Neubemessung nicht vorbehalten hat, eine Überzahlung später nicht eigeninitiativ mit dem Argument kondizieren kann, die Invalidität sei zu hoch bemessen; wollte man auf diese letzte Konsequenz verzichten, wäre die Regelung über den Vorbehalt jedes Sinns entkleidet – eine Erklärung, welchen Sinn der in den AUB 2008 geregelte Vorbehalt andernfalls haben sollte, wenn der VR trotz Vorbehalts eigeninitiativ kondizieren könnte, bleiben jene Autoren, welche die Entscheidung des OLG Frankfurt als “falsch‘ (so Grimm a.a.O.) bezeichnen, schuldig. Erlangt indessen der VN durch die vorbehaltlose Erstfestsetzung eine durch den VR eigenständig nicht mehr zu beseitigende Position, mutet es überraschend an, dass der VN diese Position nun verlieren soll, weil er die Erstfestsetzung für zu niedrig erachtet und in der Ne...