RVG § 3a Abs. 2 § 14 Abs. 1; BGB § 138 Abs. 1 und 2 § 242
Leitsatz
1. Ob ein für die Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung sprechendes auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht, hängt davon ab, welche Vergütung nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit marktangemessen und adäquat ist. Die gesetzlichen Gebühren stellen hierbei ein Indiz dar.
2. Die tatsächliche Vermutung, dass ein Honorar unangemessen hoch ist, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das Fünffache übersteigt, gilt auch für zivilrechtliche Streitigkeiten. Der Anwalt kann die Vermutung entkräften.
BGH, Urt. v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14
Sachverhalt
Die Kl. hatten im Oktober 2009 einen auswärts kanzleiansässigen Rechtsanwalt, den jetzigen Bekl., beauftragt, sie in einer Kindschaftssache wegen ihres Pflegekindes zu vertreten. Dabei wollten die Kl. die mit der Mutter des Pflegekindes und dem Jugendamt bestehenden Konflikte klären lassen. Mit Schreiben v. 15.10.2009 teilte der beklagte Anwalt den Kl. mit, dass bei ihm bereits ein erheblicher Zeitaufwand von 9 bis 10 Stunden angefallen sei. Er bot den Kl. an, entweder eine Honorierung nach reinem Zeitaufwand mit einem Stundensatz von 200 EUR oder ein Pauschalhonorar zu vereinbaren. Außerdem übermittelte der Anwalt den Kl. eine Vorschussnote über 2.580 EUR netto und kündigte an, zu dem für den 21.10.2009 bestimmten Termin beim Jugendamt nur nach Begleichung des Vorschusses anreisen zu wollen. Die Kl. wählten zunächst die Stundenhonorarvereinbarung und zahlten den verlangten Vorschuss. Nachdem der Bekl. am 22.10.2009 für den bis dahin aufgelaufenen Zeitaufwand 4.188,68 EUR abrechnete, entschlossen sich die Kl. dazu, nunmehr doch das alternativ angebotene Pauschalhonorar zu vereinbaren. Am 5.11.2009 unterzeichneten die Kl. eine entsprechende Urkunde, wonach sich der Anwalt ein Pauschalhonorar von 20.000 EUR für die Vertretung der Kl. "in der Sache unseres Pflegekindes … bezüglich aller sich hieraus ergebenden Sach- und Rechtsfragen" für die erste Instanz zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer versprechen ließ. Für jede weitere Instanz sollte das Honorar gesondert vereinbart werden.
Der Rechtsanwalt vertrat die Kl. hieraufhin in einer Besprechung mit dem Jugendamt, in zwei für die Kl. erfolgreichen familienrechtlichen Verfahren vor dem AG und in einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Die hierfür entstandenen gesetzlichen Gebühren betrugen nach einem später im Rechtsstreit eingeholten Gutachten der Rechtsanwalts-Kammer Nürnberg insg. 3.733,03 EUR. Nach Beendigung der Angelegenheit berechnete der Rechtsanwalt den Kl. eine Gesamtvergütung i.H.v. 24.581,50 EUR, die die Kl. vollständig bezahlten.
Mit ihrer vor dem LG Nürnberg-Fürth eingereichten Klage haben die Kl. von dem Bekl. Rückzahlung dieser 24.581,40 EUR verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung haben die Kl. ihre Klage nur noch i.H.v. 20.848,37 EUR nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten weiterverfolgt. Dieser Betrag errechnet sich – mit einer Abweichung von 3,10 EUR – aus der Differenz des gezahlten Betrages von 24.581,50 EUR und der gesetzlichen Vergütung i.H.v. 3.733,03 EUR (Differenzbetrag 20.851,47 EUR). Das OLG Nürnberg hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die von den Kl. hieraufhin eingelegte Revision hatte beim BGH keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[4] "… Die Revision hat keinen Erfolg."
[5] I. Die Revision ist unzulässig, soweit die Kl. Ansprüche aus Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrags geltend machen. Insoweit fehlt es bereits an einer Berufung gegen das landgerichtliche Urteil. …
[7] II. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
[8] 1. Das BG hat ausgeführt, den Kl. stehe kein Rückforderungsanspruch zu, weil die getroffene Pauschalvereinbarung nicht sittenwidrig sei. Es liege kein auffälliges Missverhältnis zwischen der Anwaltsleistung und dem vereinbarten Pauschalhonorar vor. Objektiver Beurteilungsmaßstab für die Frage eines Missverhältnisses zwischen Anwaltsleistung und Honorarvereinbarung sei die Überschreitung des fünffachen Satzes der gesetzlichen Gebühren. Allein aufgrund des im Streitfall errechneten Faktors von 6,44 könne ein solches Missverhältnis nicht vermutet werden, weil der Bekl. seinen erheblichen Arbeitsaufwand hinreichend dargelegt habe und andererseits wegen der niedrigen oder mittleren Streitwerte eine adäquate Vergütung nicht gewährleistet gewesen sei. Aus diesen Gründen komme auch keine Herabsetzung der Pauschalvergütung gem. § 3a Abs. 2 S. 1 RVG in Betracht.
[9] 2. Das hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
[10] a) Die Klage ist zulässig, insb. hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Stützen die Mandanten die von ihnen begehrte Rückgewähr eines gezahlten Anwaltshonorars einerseits darauf, die vereinbarte Vergütung sei sittenwidrig überhöht und daher nichtig, und andererseits darauf, die Vergütung sei unangemessen hoch und deshalb herabzusetzen, liegt ein einheitlicher Streitgegenstand vor. Mithin is...