StVZO § 32 Abs. 2; OWiG § 29a Abs. 3; StGB § 73b
Leitsatz
1. Auch wenn § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter die Möglichkeit einräumt, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen, müssen zuvor alle Beweismittel, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten erlangt werden können (hier: Frachtrechnungen), genutzt werden.
2. Zudem müssen in der gerichtlichen Entscheidung die tragenden Grundlagen der Schätzung mindestens so weit nachvollziehbar angegeben werden, dass für das Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung besteht und erkennbar wird, dass – ggf. auch unter Beachtung des Zweifelssatzes – eine Zuvielbelastung des Betr. ausgeschlossen werden kann.
3. Der bloße Verweis auf einschlägige Kalkulationstabellen – hier: Kostensätze Gütertransport Straße (KGS) – genügt jedenfalls dann nicht, wenn der zur Entscheidung anstehende (Transport-)Fall Anlass gibt, die Anwendbarkeit der Tabellen in Zweifel zu ziehen.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 6.8.2013 – 1 Ss (OWi) 107/13
Sachverhalt
Die Verfallsbeteiligte führt mit Lkw Gütertransporte durch. Für die Firma D.B. AG ist sie ständiger Logistikpartner und transportiert regelmäßig Kfz-Teile von V (CZ) nach B (D). Am 13.1.2012 wurde ihr Fahrer, Herr S, im Bereich des Landkreises P auf der BAB 2 kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass der Sattelzug, deren Halterin die Betr. ist, im Frontbereich (nach Abzug einer Toleranz von 0,01 m) eine Höhe von 4,08 m aufwies und somit die gem. § 32 Abs. 2 StVZO zulässige Höhe überschritt. Welchen Transportlohn die Verfallsbeteiligte vereinnahmte, ist nicht festgestellt. Jedoch hat das AG unter Zugrundelegung der inländischen Fahrtstrecke von 550 km (gerechnet ab dem Grenzübergang A – die gesamte Fahrstrecke beträgt ca. 670 Km) sowie des Gewichts der Ladung von 17,2 t anhand der "Kostensätze Gütertransport Straße – KGS" für den Transport einen Betrag von 1.361,44 EUR geschätzt, wovon es 900 EUR für verfallen erklärt hat.
Gegen dieses Urt. hat die Verfallsbeteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie hat – hilfsweise – beantragt wie erkannt. Die GStA hat ebenfalls beantragt wie erkannt.
2 Aus den Gründen:
"II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch – jedoch nur zum Rechtsfolgenausspruch – einen zumindest vorläufigen Erfolg."
1. Soweit die Verfahrensrüge erhoben ist und mit der Sachrüge die Voraussetzungen für die Anordnung des selbstständigen Verfalls in Zweifel gezogen werden, ist die Rechtsbeschwerde aus den Gründen der Stellungnahme der GStA v. 14.6.2013, auf die insoweit Bezug genommen wird, unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.
Die Voraussetzungen für die Anordnung des selbstständigen Verfalls (§ 29a Abs. 2, Abs. 4 OWiG) sind gegeben: Es liegt zunächst eine mit Geldbuße bedrohte Handlung vor (§§ 24 StVG, 69 a Abs. 3 Nr. 2, 32 Abs. 2 StVZO). Die Anordnung des Verfalls gegenüber der Betr. ist auch berechtigt, weil der Transport für die Verfallsbeteiligte durchgeführt worden ist. Sodann ist es rechtlich zutreffend, dass das AG auf der Grundlage des Bruttoprinzips das Entgelt, das die Verfallsbeteiligte für den Transport vereinnahmt hat, als erlangt i.S.d. § 29a Abs. 2 OWiG angesehen hat (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30.8.2011 – 322 SsBs 175/11, Rn 5 ff.; juris). Das AG hat auch in zutreffender Weise klargestellt, dass es sich bei der Anordnung des selbstständigen Verfalls um eine Ermessensentscheidung handelt und welche Erwägungen in diese eingestellt wurden (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 8.2.2013 – Ss (OWi) 18/13 und v. 18.3.2013 – Ss (OWi) 65/13; jeweils nicht veröffentlicht).
2. Allerdings reichen die vom AG getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Schätzung eines Transportentgeltes i.H.v. 1.361,44 EUR und folglich auch die Höhe des durch Ermessen davon reduzierten Verfallsbetrages i.H.v. 900 EUR in nachvollziehbarer Weise zu belegen.
Zur Verfahrensvereinfachung räumt § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter allerdings ausdrücklich die Möglichkeit ein, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen. Dabei ist unter Schätzung zu verstehen, dass sich der Richter unter Befreiung vom Strengbeweis nach § 244 StPO, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, mit einer vermutlichen Wertannahme begnügen kann (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl., Rn 5 zu § 73b). Geschätzt werden dürfen dabei der Umfang des Erlangten sowie der Wert des erlangten Gegenstandes (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., Rn 47 zu § 29a).
Das AG beruft sich im vorliegenden Fall zum Beleg seiner Schätzung auf Angaben einer Mitarbeiterin der Verwaltungsbehörde, die (Zitat:) “im Rahmen der mündlichen Verhandlung schlüssig und nachvollziehbar erläutert habe, wie sie den vorgenannten Betrag errechnet und dabei die Besonderheiten des Güterverkehrs berücksichtigt und eher niedrige Werte angenommen und keine Umsatzsteuer berücksichtigt habe’ und führt dazu weiter aus, dass die “Berechnung des Frachtgutes auf der Grundlage der Kostensätze Gütertransport Straße (KGS) bei fehlenden Angaben des Betr. nicht zu beanstanden sei.’
Daran bestehen aber schon deshalb Zweifel, weil ...