AUB Nr. 5.1.1. 5.1.2.
Leitsatz
Ein VN, der sich mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,05 ‰ einem "Kräftemessen" zwischen seinem Traktor und dem Pkw eines stark alkoholisierten Bekannten widmet und beim gegenseitigen Ziehen durch Überschlagen des Traktors schwere Hirnverletzungen erleidet, genießt den Schutz seiner privaten Unfallversicherung.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.7.2014 – 5 U 1/14
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Frage der Leistungspflicht der Bekl. aus einem Unfallversicherungsvertrag.
In Nr. 5 AUB sind Leistungsausschlüsse geregelt. Danach besteht kein Versicherungsschutz unter anderem für
"5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen …"
5.1.2 Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.“
Am 23.1.2011 entschlossen sich der Kl. und der Zeuge B, beide in angetrunkenem Zustand, die Antriebsstärke ihrer Fahrzeuge auszutesten. Zunächst veranstalteten sie ein "Kräftemessen" mit zwei Traktoren, welches der Kl. "gewann" und bei dem alles gut ging, sodann mit einem Traktor und einem Pkw. Sie stellten den Traktor des Kl. und den Pkw (Audi) des Zeugen B auf einer stark abschüssigen Straße heckseitig zueinander und verbanden sie mit einer festen Schlaufe. Der Zeuge B fuhr los. Es gelang ihm, den Traktor über eine gewisse Strecke nach unten zu ziehen. Dabei hob der Traktor mit den Vorderrädern vom Boden ab und überschlug sich. Der Kl. wurde herausgeschleudert und erlitt neben orthopädischen Verletzungen ein Schädel-Hirn-Trauma mit subduralem Hämatom, welches in einer notfallmäßigen neurochirurgischen Operation entfernt wurde. Postoperativ wurde eine Reha-Behandlung unter anderem zur Besserung der festgestellten kognitiven Defizite durchgeführt.
Eine nach der Notoperation erfolgte Blutentnahme ergab unter Zugrundelegung eines Mindestabbauwerts von 0,1 ‰ pro Stunde einen auf den Unfallzeitpunkt zurück berechneten Blutalkoholwert von (mindestens) 1,05 ‰. Beim Zeugen B wurde ein Blutalkoholgehalt von über 2 ‰ ermittelt.
2 Aus den Gründen:
" … Das LG hat die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses gem. Nr. 5.1.1. AUB zu Recht abgelehnt. Auch Nr. 5.1.2 AUB kommt nicht zum Tragen."
1. Nach den von der Berufung nicht angegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LG (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist der Versicherungsfall eingetreten. Der Kl. hat durch ein Unfallereignis (Nr. 1.3 AUB) dauerhafte Beeinträchtigungen seiner (geistigen) Leistungsfähigkeit erlitten (Nr. 2.1.1.1 AUB).
Das LG ist auf der Grundlage der medizinischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S v. 7.8.2012 und v. 12.9.2013 zu der Überzeugung gelangt, die beim Kl. festgestellte Hirnverletzung sei auf den Unfall v. 23.1.2011 zurückzuführen und habe eine unfallbedingte Invalidität außerhalb der Gliedertaxe i.H.v. 20 % verursacht, so dass eine Invaliditätsleistung gem. Nr. 2.1 AUB zu zahlen sei. …
2. Ansprüche aus der Unfallversicherung scheitern nicht an einem vertraglich vereinbarten Leistungsausschluss.
a. Zu Recht hat das LG die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses wegen einer Verursachung des Unfalls durch eine auf Trunkenheit beruhende Bewusstseinsstörung verneint (Nr. 5.1.1 AUB).
Ausgehend von der Annahme, dass die Grenze einer absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 ‰ vorliegend nicht nachweisbar überschritten sei, hat es für nicht bewiesen gehalten, dass eine alkoholbedingten Bewusstseinsstörung den Unfall verursacht habe. Das ist nicht zu beanstanden.
(1) Der – insb. für Unfälle im Straßenverkehr relevante – Ausschluss des Versicherungsschutzes für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, erfasst Risiken, die über das normale Unfallrisiko hinausgehen, weil der Versicherte bei den genannten Zuständen nicht in der Lage ist, eine drohende Unfallgefahr klar zu erkennen oder überhaupt wahrzunehmen und sich zur Vermeidung des Unfalles entsprechend richtig zu verhalten. Für diese erhöhten Risiken will der Unfallversicherer nicht eintreten (Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 5 AUB 2010, Rn 7).
(a) Bewusstseinsstörung i.S.d. Nr. 5.1.1 AUB ist nicht erst die völlige Bewusstlosigkeit. Relevant sind alle, insb. auf Alkoholgenuss beruhenden erheblichen Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die den Versicherten außerstande setzen, Gefahrenlagen in der gebotenen Weise zu begegnen (BGH VersR 2008, 1683; 1985, 583). Das kann nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, weil die Frage, was genau dem Versicherten abverlangt wird, nur situationsbezogen beantwortbar ist (Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 5 AUB 2010, Rn 9).
Für die Auslegung der Klausel ist zu berücksichtigen, dass sie Unfälle infolge Alkoholgenusses nicht schlechthin ausschließt, sondern nur, soweit der Alkoholgenuss zu einer Bewusstseinsstörung führte, die wiederum (mit-)ursächlich für den Unfall wurde (Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 5 AUB 2010, Rn 10...