1) Der Senat geht mit Recht davon aus, dass er als BG an die Festsetzung der Höhe des Schmerzensgelds durch das erstinstanzliche Gericht nicht gebunden ist. Die Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe ist Rechtsanwendung, nicht Feststellung einer Tatsache, die für das BG eine Bindung gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könnte (vgl. BGH MDR 2006 123; OLG Köln VersR 2008, 364 m. Anm. Jaeger; Jaeger/Luckey, in: Halm/Himmelreich "Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht", 6. Aufl., Kap. 8 Rn 48).

Anders verhält es sich mit der Nachprüfung der Schmerzensgeldhöhe in der Revisionsinstanz. Bei der Ermittlung des Schmerzensgelds ist der Tatrichter durch § 287 ZPO besonders frei gestellt. Seine Bemessung kann selbst dann nicht beanstandet werden, wenn sie zu dürftig oder zu großzügig erscheint (BGH 1976, 967). Überprüfbar sei nur, ob alle für die Höhe des Schmerzensgelds maßgebenden Umstände vollständig berücksichtigt seien und bei der Abwägung nicht gegen Rechtssätze, Denksätze und gegen Erfahrungssätze verstoßen worden sei (BGH a.a.O.; Jaeger/Luckey, "Schmerzensgeld", 8. Auflage, Rn 1046).

Diese Zurückhaltung bei der revisionsgerichtlichen Überprüfung wird auch darauf zurückgeführt, dass eine mathematisch punktgenaue Bewertung nicht möglich ist, allenfalls ein Spielraum für die Schmerzensgeldhöhe als angemessen angegeben werden kann.

2) Die entwickelten Schmerzensgeldtabellen dienen in erster Linie der Konkretisierung dieses Spielraums, darüber hinaus dem Ziel der Vereinheitlichung der Schmerzensgeldbemessung im gesamten Rechtsgebiet (vgl. auch OLG München VersR 2011, 74).

Grenzen der Verwertbarkeit der Tabellenwerke ergeben sich zunächt aus der oft zweifelhaften Fallähnlichkeit der herangezogenen Vergleichsfälle (Doukoff, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, "Praxis des Straßenverkehrsrechts", 6. Aufl., § 2 Rn 1069; Berger VersR 1977, 877; Berger VersR 1977, 877). Oft wird es an einer Identität der Variabeln oder Schmerzensgeldfaktoren bei dem zur Bewertung anstehenden Fall zu den in das Tabellenwerk aufgenommenen Entscheidungen fehlen.

Fast noch schwerwiegender können "Alterungen" der in die Tabellenwerke eingeflossenen Bewertungen sein. Wie sich gerade den Tabellenwerken entnehmen lässt, besteht ein deutlicher Trend des Anstiegs des Schmerzensgelds.

Die Mahnung des OLG Frankfurt, nicht unkorrigiert ältere Schmerzensgeldentscheiungen in Tabellenwerke einzustellen (NJW RR 2009, 1684), ist im Tabellenwerk von Hacks/Wellner/Häcker (Schmerzensgeld-Beträge 2018, V 1, S. 22) seit 1992 zum Anlass genommen worden, durch Indexierung der Geldentwertung Rechnung zu tragen. Jaeger/Luckey (a.a.O.) haben angekündigt, wegen fehlender Aussagekraft (vgl. dazu KGR 2006, 749, 751) ältere Schmerzensgeldentscheidungen aus ihrem Tabellenwerk herauszunehmen (Jaeger/Luckey, "Schmerzensgeld" 8. Aufl. Teil 1 Rn 1068).

Bedenken gegen die anzustrebende Wiedergabe der Schmerzensgeldhöhe ergeben sich auch daraus, dass der weit überwiegende Teil der Schmerzensgeldfälle außergerichtlich reguliert wird und ebenso, dass mehrmals 99 % aller Schmerzensgeldregulierungen nicht in Tabellenwerken auftauchen (vgl. Jaeger/Luckey, in: Halm/Himmelreich, a.a.O., Kap. 8 Rn 60).

3) Einigkeit besteht darüber, dass die in Tabellenwerken enthaltenen – möglichst weitgehenden vergleichbaren Entscheidungen zur Schmerzensgeldhöhe – einen brauchbaren Anhaltspunkt zur möglichen Bemessung der Schmerzensgeldhöhe bilden (vgl. BGH VersR 1970, 281; KG VersR 2011, 274; Doukoff, a.a.O.). Die Einordnung der Chance auf eine bestimmte Schmerzensgeldhöhe wird als "Orientierungsrahmen" verstanden (vgl. OLG Saarbbrücken zfs 1999, 101; OLG Hamm zfs 2005, 122; Doukoff, a.a.O.).

Eine größere Bedeutung kommt den Referenzentscheidungen nicht zu.

Eine Rechtsquelle mit Bindungswirkung für das Bestimmen der Schmerzensgeldhöhe kommt den Referenzentscheiungen nicht zu. Schon die Verschiedenheit der Einzelfallentscheidungen – wie die fehlende Ermächtigung zur präjudiziellen Geltung als Abänderung der subjektiven Rechtskraftwirkung des § 325 ZPO – steht der Anerkennung der Präjudizialität entgegen.

Tabellenwerke zur Schmerzensgeldhöhe bahnen damit nicht den Weg zum angelsächsischen case-law. Nach diesem fallrechtlichen System sind Untergerichte an Präjudizen der Obergerichte gebunden (vgl. Hay "US-amerikanisches Recht", 4. Aufl., Kap. 1, Rn 20). Da in der Fallsammlung nicht lediglich obergerichtliche Entscheidungen aufgeführt sind, fehlte schon dieses Erfordernis der Präjudizialität. Im Übrigen wird in den Tabellenwerken nur das Ergebnis einer Ermessensbetätigung zur Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe mitgeteilt, während im angelsächsischen Recht nur die Norm, auf der die Entscheidung beruht (vgl. Germann, "Probleme und Methoden der Rechtsfindung", S. 373), präjudizierend ist.

4) Ob eine faktische Bindung an Ober- und Untergrenze und damit an den Orientierungsrahmen von Vergleichsfällen anzunehmen ist, da die Tabelle eine Art "Gliedertaxe" darstellt (vgl. Daubner-Lieb/Langen/Huer, "AK Schuldrecht" § 253 Rn 66), ist zu ...

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