StPO § 346 Abs. 2 § 473 Abs. 1 S. 1; OWiG § 46 Abs. 1 § 70 Abs. 1 § 74 Abs. 2 und 4; GKG § 21
Leitsatz
Ergeht nach Einspruchseinlegung durch einen nicht betroffenen Dritten ein Verwerfungsurteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG gegen den (tatsächlich) Betr., weil das Gericht irrtümlich von dessen Einspruch ausgeht, ist auf seine Sachrüge hin das Urteil wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses, nämlich der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, durch das Rechtsbeschwerdegericht aufzuheben. Der Einspruch des nicht betroffenen Dritten ist durch das Rechtsbeschwerdegericht unter Auferlegung der durch den Einspruch und dessen Verwerfung entstandenen Kosten des gerichtlichen Verfahrens als unzulässig zu verwerfen.
OLG Bamberg, Beschl. v. 21.8.2013 – 2 Ss OWi 653/13
Sachverhalt
Die Zentrale Bußgeldstelle verhängte gegen den Betr. Adam B. eine Geldbuße von 360 EUR sowie ein Fahrverbot von 1 Monat. Nach Zustellung bestellte sich Rechtsanwalt T unter Nennung des Aktenzeichens der Bußgeldstelle "in der Bußgeldsache gegen Berta B." und legte "Namens und mit Vollmacht der betroffenen Mandantschaft gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein". Dem Schreiben war eine von Berta B. erteilte Strafprozessvollmacht beigefügt, die denselben Nachnamen wie Adam B. führt. Im nachfolgenden Schriftsatz wurde – wie ab dann in sämtlichen weiteren Schriftsätzen – die Angelegenheit als "Bußgeldsache gegen Adam B." bezeichnet. Später erfolgte "in dem Bußgeldverfahren gegen Adam B." Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung. In diesem Termin verwarf das AG den Einspruch des Betr. Adam B. § 74 Abs. 2 OWiG. Gegen das in Abwesenheit von Rechtsanwalt T verkündete Urt. legte der Verteidiger neben einem Antrag auf Wiedereinsetzung gem. § 74 Abs. 4 OWiG Rechtsbeschwerde ein. Nach rechtskräftiger Ablehnung der Wiedereinsetzung verwarf das AG die Rechtsbeschwerde mangels fristgerechter Begründung als unzulässig. Dagegen beantragte der Verteidiger die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die Rechtsmittel des Betr. führten zur Aufhebung des Beschl. und des Verwerfungsurteils sowie zur Verwerfung des Einspruchs der Berta B. als unzulässig.
2 Aus den Gründen:
" … I. Der gem. § 346 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG zulässige Antrag des Betr. Adam B. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts hinsichtlich des Beschl. des AG v. 6.3.2013, mit dem seine Rechtsbeschwerde gegen das Urt. des AG v. 11.10.2012 als unzulässig verworfen wurde, ist begründet. Das Urt. wurde dem Verteidiger am 26.10.2012 zugestellt. Bereits mit Einlegung der Rechtsbeschwerde … wurde mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts in zulässiger Weise die allgemeine Sachrüge erhoben. Wenn sich – wie hier – das Ziel der Rechtsbeschwerde, nämlich die Anfechtung des Urt. insg. mit der allgemeinen Sachrüge ergibt, ist das Fehlen eines Rechtsbeschwerdeantrags unschädlich (Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn 27a). Der angefochtene Beschl. v. 6.3.2013 war deshalb – ohne diesbezügliche Kostenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. § 346 Rn 12 m.w.N.) – aufzuheben."
II. Die gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Urt. des AG und zur Verwerfung des Einspruchs der Berta B. als unzulässig.
1. Berta B. hatte gegen den Bußgeldbescheid v. 25.7.2012, der gegen den denselben Nachnamen führenden Betr. Adam B. gerichtet und ihm am 27.7.2012 zugestellt worden war, mit Schriftsatz des Rechtsanwalts T. v. 30.7.2012, dem eine Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung von Berta B. v. 5.7.2012 beigefügt war, Einspruch eingelegt. Anhaltspunkte dahingehend, dass sie diesbezüglich für Adam B. in Vollmacht handelte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Einspruch des tatsächlich vom Bußgeldverfahren Betroffenen Adam B., gegen den sich der Bußgeldbescheid richtete, liegt nicht vor.
2. Der Einspruch der Berta B. gegen den – sie nicht betreffenden – Bußgeldbescheid v. 25.7.2012 war unzulässig, da von einem Unbefugten eingelegt. Der Einspruch hätte daher nach Vorlage der Akten beim AG dort gem. § 70 Abs. 1 OWiG verworfen werden müssen, was allerdings, da dieser Umstand offenbar unbemerkt blieb, nicht geschah.
3. Da die Unzulässigkeit des Einspruchs von Berta B. erst im Rechtsbeschwerdeverfahren festgestellt wurde, hat, nachdem das AG in Richtung gegen den tatsächlich Betr. Adam B. am 11.10.2012 durch Verwerfungsurteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG entschieden hatte, nunmehr der Senat das Verwerfungsurteil auf die zulässige Rechtsbeschwerde von Adam B. hin aufzuheben. Die in zulässiger Weise gegen das Verwerfungsurteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG erhobene Sachrüge führt zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens von Verfahrenshindernissen (Göhler/Seitz, § 74 Rn 48b). Diese Prüfung ergibt, dass dem Erlass des Verwerfungsurteils wegen unerlaubter Abwesenheit des Betr. Adam B. in der Hauptverhandlung v. 11.10.2012 die Rechtskraft des gegen ihn gerichteten Bußgeldbescheids als Verfahrenshindernis entgegenstand (vgl. BGHSt 13, 306; BGHSt 26, 183; Göhler/Seitz...