Helmpflicht für Radfahrer?
Das Urteil des OLG Schleswig, das einer Radfahrerin nur einen Teil ihres Unfallschadens zugesprochen hat, weil sie keinen Fahrradhelm trug, hat breite Beachtung gefunden (vgl. statt aller FAS vom 23.6.2013, S. V 11; FAZ vom 5.7.2013, S. 14). Die Bekl. hatte die Fahrertür ihres Pkw geöffnet, ohne auf die auf der Straße fahrende Kl. zu achten. Die Kl. fuhr gegen die Türe, stürzte und zog sich Schädel-Hirnverletzungen zu. Unstreitig verursachte die Bekl. die Kollision allein; ein Fahrradhelm hätte die Verletzungen der Kl. jedoch geringer halten können (so das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten, Rn 25, 39).
Das LG verurteilte die Bekl. zum Ersatz des Unfallschadens (LG Flensburg – 4 O 265/11). Auf die Berufung der Bekl. erkannte das OLG Schleswig auf ein Mitverschulden der Kl., das den Schadenersatzanspruch nach § 254 BGB um 20 % mindere (Rn 39). Indem sie keinen Fahrradhelm trug, habe die Kl. Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen (Rn 22). Ein ordentlicher und verständiger Radfahrer trage im öffentlichen Straßenverkehr zur Vermeidung eigenen Schadens einen Helm (Rn 36 f.). Entscheidend sei das besondere Verletzungsrisiko eines Radfahrers im Straßenverkehr durch die Fallhöhe, fehlende Abstützmöglichkeiten und die im Vergleich zu Fußgängern höhere Geschwindigkeit; auch sei die Anschaffung eines Schutzhelms wirtschaftlich zumutbar (Rn 36). Radfahren unterscheide sich nicht vom Reiten und Skifahren, wo sich eine Obliegenheit zum Tragen von Helmen durchgesetzt habe (Rn 31).
Gegen das Urteil bestehen Bedenken in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Fußgänger und Radfahrer haben dieselbe “Fallhöhe‘. Der untere Totpunkt des Pedals eines Tourenrades befindet sich nur ca. 15 cm über dem Straßenniveau; die im Vergleich zum Fußgänger geringfügig höhere Kopfposition des Radfahrers wird dadurch ausgeglichen, dass der Radfahrer nach vorne gebeugt fährt. Der Kopf eines stürzenden Radfahrers fällt also kaum tiefer als der eines Fußgängers, der im Übrigen noch weniger "Abstützmöglichkeiten" hat. Die mögliche Fallhöhe müsste groß gewachsene Fußgänger zum Tragen eines Sturzhelmes verpflichten – Kinder übrigens nicht. Reiter sitzen deutlich höher (die Höhe des Widerrists bspw. eines Trakehners beträgt ca. 150–160 cm) und vom Pferd geht eine Gefahr aus (§ 833 BGB).
Die Verletzungsgefahr unterscheidet sich also für Fußgänger und Radfahrer durch die Geschwindigkeit und die Tatsache, dass dem Fußgänger meist ein abgetrennter Verkehrsraum (Gehweg, § 25 Abs. 1 StVO) zugewiesen ist. Zur Nutzung der Fahrbahn ist der Radfahrer grds. verpflichtet (§ 2 Abs. 1 StVO). Weil vom Fahrrad keine Betriebsgefahr i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG ausgeht (so zuletzt BT-Drs. 14/8780 S. 21 zur Änderung von § 7 Abs. 1 StVG), liegt die aus der Nutzung der Fahrbahn folgende besondere Gefahr für Rechtsgutverletzungen – wie allg. – im Risiko des Schädigers (Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 84 Abs. 3 S. 1d) m.w.N.; ebenso die st. Rspr., vgl. BGH NJW 1983, 340, 341. Plastisch Wagner, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn 134: "Der Schädiger muss sein Opfer so nehmen, wie er es antrifft").
Als Ausgangspunkt für ein Mitverschulden des Radfahrers i.S.v. § 254 BGB bleibt daher nur die im Vergleich zum Fußgänger höhere Geschwindigkeit. Auch ein Fußgänger kann aber bspw. bei einem kurzen Sprint mühelos Geschwindigkeiten von 25–30 km/h erreichen: Für das Deutsche Sportabzeichen in Bronze, das als Breitensport-Abzeichen angelegt ist, verlangt der Deutsche Olympische Sportbund seit 2013 bspw. von Männern zwischen 35 und 39 Jahren den Lauf von 100 m in nicht mehr als 16 Sekunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22,5 km/h entspricht. Auch macht es für ein Unfallopfer keinen Unterschied, ob ein Pkw einen an der Ampel stehenden Radfahrer oder Fußgänger erwischt: Die Kopfverletzungen verursacht der auf den Kopf einwirkende Impuls.
Nur auf die Geschwindigkeit hat der Radfahrer Einfluss. Weil der Impuls als maßgebliches Kriterium für die Höhe der Verletzungen proportional zur Geschwindigkeit steigt, erhöht die Geschwindigkeit das Risiko stärkerer Verletzungen. Daraus folgt, dass man dem Radfahrer bestenfalls vorwerfen kann, ohne Schutz eine Geschwindigkeit zu fahren, "die diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt" (so die Formulierung in Rn 28 unter Verweis auf BGH NJW 1979, 980).
Rechtlich fragwürdig begründet das OLG die "allg. Überzeugung" zum Tragen eines Helmes, deren Nichtachtung bereits eine Obliegenheit i.S.d. § 254 BGB verletze: Mit dem dürren Satz, "die größere Verbreitung des Tragens eines Sturzhelmes ist im täglichen Straßenbild inzwischen … deutlich wahrzunehmen" (Rn 37), beruft sich das OLG auf den BGH, der aber für eine zivilrechtliche Mitverantwortung wegen Verstoßes gegen eine "allg. Überzeugung" zu Recht Statistiken oder Erhebungen verlangt (BGH NJW 1979, 980, 980 f.). Gegen die "allg. Überzeugung" spricht die 201...