ZPO § 406
Leitsatz
Bezeichnet eine Partei ohne Bezug zum Gegenstand eines Gutachtens den Sachverständigen als Lobbyisten der Tabakindustrie, so begründet es nicht die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen, wenn dieser erklärt, er werde sich gegen eine solche Behauptung (auch) außerhalb des Gerichtssaals zur Wehr setzen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.7.2013 – 12 W 32/13
Sachverhalt
Der Kl. nahm die Bekl. auf Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung in Anspruch. Der Sachverständig erstattete ein Gutachten, das er auch mündlich erläuterte. Nach der Anhörung des Sachverständigen erklärte der Kl. zu Protokoll, "dass er sich von dem Sachverständigen nicht ausreichend begutachtet fühlt. Insofern seien bereits die Apparaturen dort deutlich weniger modern als bei Herrn Dr. M. Im Übrigen sei der Sachverständige Lobbyist der Tabakindustrie gewesen und deshalb könne er sich von diesem nicht begutachten lassen."
Der Einzelrichter des LG beauftragte den Sachverständigen nach dem Termin, sich in einem Ergänzungsgutachten zu dem von dem Kl. eingereichten Privatgutachten Dr. M zu äußern. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Privatgutachten enthielt das Ergänzungsgutachten folgende Schlussbemerkung:
"Des Weiteren behauptet der Kl., dass ich Lobbyist der Tabakindustrie gewesen sei. Deswegen könne er sich von mir nicht begutachten lassen. Hierzu ist festzustellen, dass ich zu keiner Zeit Ansichten oder Interessen der Tabakindustrie vertreten habe. In meinen Publikationen und insb. auch meinen Begutachtungen zu bronchopulmonalen Erkrankungen habe ich vielfach auf die gravierenden gesundheitsschädigenden Wirkungen des Aktivrauchens hingewiesen. Dabei lege ich durchweg gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu Grunde. Bei Aufrechterhaltung der Behauptung, ich sei Lobbyist der Tabakindustrie gewesen, behalte ich mir ausdrücklich rechtliche Schritte gegenüber demjenigen vor, welcher diese Äußerungen macht."
Aufgrund der Schlussbemerkung lehnte der Kl. den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. In seiner Stellungnahme erklärte der Sachverständige folgendes:
"Die durch den Kl. in der mündlichen Verhandlung ins Blaue hinein abgegebene Bemerkung beruht wahrscheinlich auf unzureichenden Informationen. Ich hoffe, dass ich durch meine Stellungnahme mehr Licht in den Sachverhalt bringen konnte. Durch derartige Diffamierungen sehe ich dennoch meine Integrität als Arzt, Wissenschaftler und medizinischer Gutachter in erheblichem Maße verletzt. Hiergegen setze ich mich gegenüber jedermann mit allen geeigneten Mitteln außerhalb des Gerichtssaals zur Wehr. Den Sachverhalt der Befangenheit im laufenden Verfahren vor dem LG vermag ich dennoch nicht zu erkennen. Nur durch entschiedenes konsequentes Entgegentreten ist es möglich, meinen guten Leumund und meine Glaubwürdigkeit als medizinischer Gutachter zu bewahren."
Das LG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Kl. gegen die Ablehnung hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, insb. fristgerecht eingelegt worden. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, dass kein Grund vorliegt, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO)."
Ein Sachverständiger kann von einer Partei wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn objektive Umstände oder Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden hingegen aus. Es ist nicht erforderlich, dass der Abgelehnte tatsächlich befangen ist; ebenso ist unerheblich, ob er sich für befangen hält. Die Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen kann sich grds. auch daraus ergeben, dass er auf gegen sein Gutachten gerichtete Einwendungen und Vorhaltungen unangemessen reagiert. Der Sachverständige hat – ebenso wie ein Richter – die Pflicht zur Objektivität und Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten und muss sich an das Gebot der Sachlichkeit halten. Andererseits kann ein Ablehnungsantrag als unbegründet zurückzuweisen sein, wenn ein Sachverständiger auf heftige Angriffe einer Partei scharf reagiert, da ein Ablehnungsantrag nicht provoziert werden darf. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Einzelfall (OLG Köln BauR 2013, 498; juris-Rn 20).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes sind weder die Äußerungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten noch diejenigen in der Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch geeignet, die Ablehnung zu rechtfertigen.
A. 1. Dem Kl. ist allerdings darin Recht zu geben, dass auch die verklausulierte Ankündigung eines Sachverständigen, gegen eine Partei bei Aufrechterhaltung einer bestimmten Äußerung klageweise vorgehen zu wollen, grds. geeignet sein kann, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtf...