Dem Geschädigten können nach einem Verkehrsunfall mehrere Schadensersatzrenten zustehen. Häufig sind dies Renten wegen eines Haushaltsführungsschadens oder eines Verdienstausfalls. Es kann im Interesse des Geschädigten liegen, statt der Rente einen größeren Kapitalbetrag auf einmal zu erhalten, um diesen sofort zu verwenden. Es kann aber auch im Interesse des Versicherers liegen, durch Zahlung eines einmaligen Betrags die Ansprüche ganz oder teilweise abzuschließen. Dann kommt die Kapitalisierung ins Spiel.
Die Kapitalisierung von Schadensersatzrenten ist für den Anwalt bei der Regulierung von Personengroßschäden übliche Praxis und haftungsträchtig. Die Berechnung erfordert ein Grundverständnis, was Kapitalisierung bedeutet. Dem Grunde nach soll der Geschädigte denjenigen Kapitalbetrag erhalten, der während der voraussichtlichen Laufzeit der Rente zusammen mit dem Zinsertrag dieses Kapitals ausreicht, die an sich geschuldete Rente zu zahlen (BGH VI ZR 128/79).
Anm. 1: Nach dem Gesetz besteht ein Anspruch des Geschädigten auf Kapitalisierung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Dies kann z.B. gegeben sein, wenn der Geschädigte den Geldbetrag benötigt, um sich eine neue Existenz zu schaffen. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist aber die absolute Ausnahme. In der außergerichtlichen Regulierung aber ist die Kapitalisierung zum Regelfall geworden und wird vor allem von Versicherern gewünscht, um den Schadensfall abschließen zu können.
Anm. 2: Der Kapitalisierungsfaktor als bestimmende Rechengröße zur Ermittlung des Kapitalisierungsbetrags hängt zunächst davon ab, wie lange die Geldrente zu zahlen ist. Ein Verdienstausfall wird bis zum Erreichen der Altersgrenze mit 67 Jahren zu zahlen sein. Für den Haushaltsführungsschaden kann kein allgemein gültiges Höchstalter zugrunde gelegt werden. Für den Geschädigten ist eine längere Laufzeit bis an das zu erwartende Lebensende vorteilhaft, da dann der Kapitalbetrag höher ist. Umgekehrt wird von Versicherern eingewendet, unfallunabhängige, altersbedingte Beschwerden überlagern jedenfalls ab einem Alter von 75 Jahren den unfallbedingten Schaden.
Anm. 3: Versicherer nehmen regelmäßig einen Zinsfuß von 5 % unter Berufung auf das o.g. BGH-Urteil an. Für den Geschädigten ist ein möglichst niedriger Zinsfuß günstig. Die Frage ist, zu welchem Zinssatz kann ein Kapitalbetrag heute und für die Dauer der zu zahlenden Rente sicher angelegt werden, um bis zum Ende der Laufzeit monatlich 300 EUR zu erhalten? Das derzeitige Zinsniveau ist seit Jahren tief und mehr als 3 % sind derzeit nicht zu erzielen, so dass auch noch niedrigere Zinsfüße zu diskutieren sind.
Anm. 4: Küppersbusch ("Ersatzansprüche bei Personenschäden") veröffentlicht als Anhang Kapitalisierungstabellen, die jeder Anwalt zur Hand haben muss. Diese zeigen die Unterschiede zum Nachteil des Geschädigten bei kürzeren Laufzeiten und höheren Zinsfüßen. Bei einer Laufzeit bis 75 Jahre und Annahme eines Zinsfußes von 5 % beträgt der Kapitalisierungsfakor 15,554 und der Kapitalisierungsbetrag im obigen Beispiel reduziert sich auf 3.600 EUR x 15,554 = 55.994,40 EUR. Lässt sich der Anwalt des Geschädigten auf eine derartige Abfindung ein, ohne den Geschädigten über die Vor- und Nachteile des Abfindungsvergleichs und über alternative Rentenbezahlung und auch über alternative Rechenmethoden bzw. die Grundlagen der Ermittlung des Kapitalisierungsbetrags aufzuklären, macht er sich dem Mandanten gegenüber schadensersatzpflichtig. Denn ebenso wenig wie § 843 Abs. 3 BGB dem Geschädigten ein grundsätzliches Recht auf Abfindung zubilligt, gibt es eine Pflicht des Geschädigten, sich abfinden zu lassen. Er kann sich auch die Rente auszahlen lassen.