BGB § 839 Abs. 1 S. 1; GG Art. 34; StrG NRW §§ 99a
Leitsatz
1. Das jeweilige Bundesland ist verkehrssicherungspflichtig für auf seinem Gebiet liegende Bundesstraßen, für die es die Bundesauftragsverwaltung durchführt (Art. 90 GG, § 5 Abs. 1 FStrG).
2. Kann ein Bundesland aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit einen verkehrsunsicheren Zustand einer Bundesstraße nicht beseitigen, ist es verpflichtet, einen Hinweis auf den nicht verkehrssicheren Zustand durch Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen zu veranlassen.
3. Allein das Aufstellen von Verkehrszeichen 101 (Gefahrstelle) und die zusätzliche Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung stellen eine ausreichende Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht dar.
4. Da das Aufstellen von Gefahrzeichen 114 lediglich vor infolge von Nässe und Schmutz auftretender Schleuder- und Rutschgefahr warnt, ist hierin keine ausreichende Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht wegen der Gefahr weicher und rutschiger Hitzeschäden der Oberfläche der Fahrbahn zu sehen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Hamm, Urt. v. 11.9.2015 – I-11 U 86/13
Sachverhalt
Der Kl. nimmt das beklagte Land wegen eines Verkehrsunfalls, den er auf einer Bundesstraße erlitten hat, wegen von ihm angenommener Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Der Kl. fuhr am 11.7.2006 mit seinem Motorrad auf der Bundesstraße, die im Bereich der Unfallstelle in Fahrtrichtung des Kl. zunächst eine Linkskurve und sodann eine Rechtskurve beschreibt. Beim Durchfahren der Linkskurve überholte der Kl. den gleichfalls auf einem Motorrad fahrenden Zeugen K. Ausgangs der anschließenden Rechtskurs stürzte der Kl. mit seinem Motorrad, da die Fahrbahn-Oberfläche infolge der zum Unfallzeitpunkt herrschenden sommerlichen Hitze von 29 Celsius weich und rutschig geworden war. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung war für diesen Bereich nicht angeordnet worden. Etwa 1700 Meter vor der Unfallstelle und einige hundert Meter entfernt waren die Gefahrenzeichen 105 (Kurve links) und 114 (Schleuder- und Rutschgefahr) aufgestellt worden. Der bei dem Unfall schwer verletzte Kl. zog sich ein Polytrauma, mehrere Frakturen am linken Ober- und Unterschenkel sowie eine Halswirbelsäulen- und Brustwirbelkontusion zu. Er wurde sieben Woche im Krankenhaus stationär behandelt und musste sich bis Februar 2008 insgesamt 14 Operationen unterziehen. Im Bereich der Unfallstelle war im Jahre 2002 eine neue Fahrbahndecke aus Asphaltbeton aufgebracht worden. Wegen fehlender Griffigkeit wurde im Wege der Mängelbeseitigung eine sog. Oberflächenbehandlung von dem Straßenbauunternehmen durchgeführt. Dabei wurde zunächst eine Bitumenemulsion auf die Straßenoberfläche aufgesprüht und anschließend mit Splitt abgestreut. Ein befriedigender Befund ergab sich nicht, da die Oberflächendecke Schäden aufwies, der Splitt sich stellenweise ablöste, Bindemittel und Splitt nachträglich aufgebracht werden mussten.
Der Kl. führte zunächst gegen das beklagte Land ein selbstständiges Beweiserfahren durch, in dem der dort bestellte Sachverständige S Feststellungen zum Fahrbahnzustand und den Unfallursachen traf. Sodann hat der Kl. Klage eingereicht, mit der er die Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung von Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für die ihm aus dem Unfall erwachsenen Schäden materieller und immaterieller Art begehrt hat. Das LG hat nach Durchführung der Beweisaufnahme eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht mit der Begründung angenommen, dass die Straße mit einem nicht ausreichend formstabilen Belag ersehen worden sei, sodass er nicht der im Sommer üblichen Hitze standgehalten habe. Hinzu komme, dass die ursprüngliche Fahrbahnoberfläche mit polierten runden Splittköpfen und hohen Bindemitteln zu glatt und geschlossen ausgestaltet und deshalb für die Oberflächenbehandlung ungeeignet gewesen sei. Insoweit folgte das LG den Feststellungen des Sachverständigen S und ging weiterhin davon aus, dass das Land schuldhaft gehandelt habe. Die zuständigen Mitarbeiter des Landes hätten entweder erkennen müssen dass die Oberflächenbehandlung ungeeignet gewesen sei oder bei fehlender eigener Sachkunde fachkundige Berater hinzuziehen müssen. Eine zusätzliche Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat das LG in der fehlenden ausreichenden Beschilderung zur Warnung vor der Gefahrenstelle gesehen. Mit Ausnahme des Abzuges neu für alt für die bei dem Unfall beschädigte Motorradkleidung hat das LG der Klage stattgegeben.
Die Berufung des Bekl. die ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt hat; hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Die zulässige Berufung des beklagten Landes hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist in dem Umfang, in dem das LG ihr stattgegeben hat, zulässig und begründet."
1. Der Feststellungsantrag zu 2) ist zulässig. Der Kl. hat in hinreichender Weise dargetan, dass er ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung der Ersatzverpflichtung des beklagten Landes hat. Insbesondere war der Kl. entgegen der Ansicht des beklagten Landes nicht ...