Auch im Lichte des 5. Arbeitskreises des VGT 2016 in Goslar ist der Ruf nach einer besseren Überprüfbarkeit und Überprüfung der verschiedenen Messungen im Straßenverkehr ununterbrochen laut. Angesichts der Masse an zu überprüfenden Verkehrsverstößen – heute mehr denn je – hat der BGH (NJW 1993, 3081) bereits früh den Rechtsbegriff des "standardisierten Messverfahrens" entwickelt, so dass das Gericht ohne besonderen oder erkennbaren Anlass im Urteil keine Ausführung mehr zu den Einzelheiten der Messmethode machen muss – vorausgesetzt, das Gerät wird standardmäßig gemäß der Bedienungsanweisung eingesetzt. Mit anderen Worten: Ein bundesweit einheitliches, korrektes und erprobtes Vorgehen soll sicherstellen, dass der Überprüfende ohne nähere Anhaltspunkte die Richtigkeit und Genauigkeit des Messgerätes für sich in Anspruch nehmen kann (so zuletzt OLG Naumburg, Beschl. v. 3.9.2015 – 2 Ws 174/15).
Das Messverfahren VKS ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung als geeignet zur Abstandsmessung und als zuverlässig anerkannt (bspw. OLG Dresden DAR 2005, 637) und die Rechtsprechung verlangt nur in einem gewissen geringen Maße Toleranzabzüge. Es gilt als standardisiertes Messverfahren (OLG Hamm NZV 1994, 120), also einem solchen nach der Rechtsprechung des BGH, bei dem menschlichen Handhabungsfehlern oder systemimmanenten Ungenauigkeiten durch einen fest vorgeschriebenen Toleranzabzug ausreichend Rechnung getragen wird.
Aber wie standardisiert ist denn nun das VKS-Mess- und Auswerteverfahren? Im VKS-Abstandsverfahren ist diese Frage – insbesondere auch durch den lesenswerten Aufsatz des Spiegelpreisträgers Dr. Löhle (DAR 3/2016, S. 161) – in Bewegung geraten. Herr Dr. Löhle bemängelt, dass es bei der täglichen polizeilichen Auswertung der Datensätze nach den einschlägigen Vorschriften und bei der Verwendung durch die Bußgeldbehörde bei der Auswertesoftware "Select" grundsätzlich an einer Geschwindigkeitskonstanz-Prüfung des Betroffenen zum Vorausfahrenden mangelt.
Im Rahmen der polizeilichen Auswertung beim Abstandsvorwurf im VKS-Verfahren wird jedoch immer die mittlere Geschwindigkeit des Betroffenen bei nur zwei Abstandsauswertepunkten zugrunde gelegt, anstatt die konkrete Geschwindigkeit beider Fahrzeuge zueinander im gesamten Messbereich (2 × 2 Pass- und 1x 2 Kontrollpunkte) zu berücksichtigen. Eine deutliche Abstandsverringerung durch starke Bremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs würde aber einem Abstandsvorwurf entgegenstehen; daher ist zwingend eine Überprüfung der Abstände und Geschwindigkeiten beider Fahrzeuge zueinander im Nah- und Fernbereich der Auswertestrecke notwendig. Eine Prüfung, die die Software im automatisierten Verfahren technisch nicht leisten kann und von den Sachbearbeitern oftmals ignoriert wird, zumal nach Dr. Löhle die VKS-Select-Software kein eigentliches Auswerteprogramm ist.
Der Abstandsvorwurf ist kein punktueller Verhaltensverstoß, zumal die StVO eine konkrete Regelung, welcher Abstand zum Vordermann eingehalten werden muss, nicht vorgibt, sondern in der Praxis der erforderliche Sicherheitsabstand mit der Anwendung einer "Faustregel" bestimmt wird.
Da ein bußgeldbewehrter Verstoß zur Voraussetzung hat, dass der erforderliche Sicherheitsabstand nicht nur ganz vorübergehend unterschritten worden ist (bei höheren Geschwindigkeiten eine Strecke von 150–200 m, früher 250–300 m, so OLG Düsseldorf NZV 2002, 519), dürfte das VKS-Verfahren wohl derzeit aufgrund stets zu vermutender fehlerhafter Auswertung nicht mehr als standardisiertes Messverfahren gelten. Es liegen damit stets konkrete Anhaltspunkte für die Möglichkeit von Messfehlern vor, mit der Folge, dass das Gericht die Korrektheit des Messergebnisses individuell zu überprüfen hat.
Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein, für den engagierten Verkehrsanwalt gilt jedoch ausnahmsweise bei Bestreiten des Messergebnisses: Mehr (je höher der vorgeworfene Abstandswert und je höher die vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit) ist weniger (Bußgeld oder ggf. Fahrverbot).
Autor: Claudio La Malfa
RA Claudio La Malfa, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Emmendingen
zfs 5/2016, S. 241