Kernaussagen des EuGH-Urteils
1. Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/126 – Dritte Führerscheinrichtlinie
Die Richtlinie 91/439 wird zwar erst mit Wirkung zum 19.1.2013 aufgehoben, doch sind die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 gem. deren Art. 18 Abs. 2 ab dem 19.1.2009 anwendbar.
Der EuGH stellt fest, dass seine Rspr. zur "Zweiten Führerscheinrichtlinie" auf die "Dritte Führerscheinrichtlinie" übertragbar ist.
Der Unterschied im Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 ist nicht geeignet, die in der Rspr. des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen in Frage zu stellen, unter denen die Anerkennung eines Führerscheins aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 91/439 abgelehnt werden konnte und nunmehr aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 abgelehnt werden muss.
Der EuGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Befugnis eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und aus diesem Grund eng auszulegen ist (vgl. u.a. Urt. v. 20.11.2008, Weber, C-1/07, NJW 2008, 3767 = DAR 2009, 26 = Slg. 2008, I-8571, Rn 29, Urt. Schwarz, zfs 2009, 293, Rn 84, und Beschl. v. 2.12.2010, Scheffler, C-334/09, NJW 2011, 587, Rn 63). Diese Feststellung bleibt für die nunmehr in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 enthaltene Verpflichtung gültig. Auch diese Verpflichtung stellt nämlich eine Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bekräftigten allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine dar.
2. Hebel zur Bekämpfung des Führerscheintourismus bleiben die Beachtung der Sperrfrist und das Wohnsitzerfordernis
Ein Führerschein darf nach den Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126 nur von dem Mitgliedstaat ausgestellt werden, in dessen Hoheitsgebiet der Bewerber seinen ordentlichen Wohnsitz hat. Somit besteht für eine Person, deren Führerschein in einem Mitgliedstaat entzogen wurde und die sodann ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, die einzige Möglichkeit, einen neuen Führerschein im Einklang mit den Richtlinien 91/439 und 2006/126 zu erwerben, darin, sich an die zuständigen Behörden des neuen Wohnmitgliedstaats zu wenden. Eine Auslegung von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126, nach der eine solche Person selbst nach Ablauf einer etwaigen Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis keinen Führerschein mehr im neuen Wohnmitgliedstaat erwerben könnte, würde daher auf eine Beschränkung des Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, hinauslaufen, das den Unionsbürgern durch Art. 21 AEUV verliehen wird und dessen Ausübung die Richtlinie 2006/126 erleichtern soll.
3. Keine Konsultationspflicht
Wollte man jedoch als Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins durch den Wohnmitgliedstaat des Bewerbers eine uneingeschränkte Verpflichtung der zuständigen Behörden zur gegenseitigen Konsultation und zur systematischen Prüfung aufstellen, ob die Gründe, aus denen eine Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist, entfallen sind, so würde dies die Errichtung eines komplexen Systems erfordern, mit dem festgestellt werden könnte, ob einem Führerscheinbewerber nicht in einem anderen Mitgliedstaat – möglicherweise schon vor längerer Zeit – eine Fahrerlaubnis entzogen wurde. Ein solches System ist jedenfalls in der Richtlinie 2006/126 nicht ausdrücklich vorgesehen. Zwar ist das EU-Führerscheinnetz geeignet, die Einführung eines solchen Systems zu erleichtern, doch ist dieses Netz noch nicht einsatzbereit und kann insoweit, was etwaige lange zurückliegende Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten zum Entzug der Fahrerlaubnis angeht, kein hilfreiches Instrument darstellen.
4. Keine strengeren nationalen Erfordernisse
Der EuGH hat in Bezug auf die Richtlinie 91/439 entschieden, dass ein Aufnahmemitgliedstaat, der die Erteilung einer Fahrerlaubnis – insb. nach Entzug einer früheren Fahrerlaubnis – von strengeren nationalen Voraussetzungen abhängig macht, die Anerkennung eines zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht allein mit der Begründung ablehnen kann, dass der Inhaber diesen neuen Führerschein gemäß einer nationalen Regelung erlangt hat, die nicht dieselben Anforderungen aufstellt, wie sie der Aufnahmemitgliedstaat vorsieht (vgl. Urt. Wiedemann und Funk, zfs 2008, 473 = NJW 2008, 2403, Rn 54). Diese Auslegung gilt auch für die Richtlinie 2006/126, die wie die Richtlinie 91/439 eine Mindestharmonisierung der innerstaatlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis vorschreibt (vgl. i.d.S. Urt. Akyüz, Urt. v. 1.3.2012, C-467/10, Ls. unten, Rn 53) und für die, wie in Rn 78 des vorliegenden Urt. ausgeführt worden ist, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine weiterhin den S...