RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2; VV RVG Nr. 2300 2302 3100
Leitsatz
1. Ob dem vorgerichtlich tätigen Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 oder Nr. 2302 VV RVG angefallen ist, hängt nicht von seiner tatsächlich entfalteten Tätigkeit, sondern maßgeblich von Art und Umfang des erteilten Mandats ab.
2. Der Erstattungsberechtigte, der für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten eine Geschäftsgebühr erstattet verlangt, hat für deren Anfall Art und Umfang des erteilten Mandats vorzutragen.
3. Vertritt ein Rechtsanwalt vorgerichtlich eine Vielzahl von Anlegern in Parallelverfahren und schickt er an die Bekl. dasselbe standardisierte Schreiben, so ist die durch die Parallelität der Sachverhalte bedingte ganz erhebliche Verringerung des zeitlichen Aufwands für das konkrete Mandat im Rahmen der Gesamtwürdigung maßgeblich zu berücksichtigen. Der Erstattungsberechtigte hat hierbei besondere Umstände, die dennoch eine höhere Geschäftsgebühr rechtfertigen können, vorzutragen.
4. Ein Schädiger hat nur jene durch das Schadensereignis verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Ist der Schädiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen Erfolg versprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig. Hierbei ist allerdings auf die Gesamtumstände des Einzelfalls abzustellen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 40/10
Sachverhalt
Der Kl. hatte die beklagte Bank aus abgetretenem Recht vor dem LG F auf Rückabwicklung einer Beteiligung an einer Gesellschaft in Anspruch genommen. Der Kl. verlangte von der Bekl. Zug um Zug gegen Abtretung dieser Beteiligung die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals, entgangenen Gewinns, die Erstattung von an das Finanzamt gezahlten Zinsen wegen Aberkennung der zunächst gewährten Steuervorteile sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage einer 2,1 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG für die Fertigung des Anspruchsschreibens v. 21.11.2008. Der Prozessbevollmächtigte des Kl. war gegenüber der beklagten Bank nicht nur für den Zedenten, sondern für eine Vielzahl von weiteren Anlegern in zahlreichen Parallelverfahren tätig und hat dabei sämtlich dasselbe standardisierte Anschreiben an die Bekl. versandt.
Das LG F hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, die vorgerichtlichen Anwaltskosten jedoch nur in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr berücksichtigt. Den hiergegen eingelegten Berufungen hat das OLG F teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat das OLG beide Berufungen zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegten Revisionen beider Parteien hatte beim BGH teilweise Erfolg, sie führten zur Zurückverweisung der Sache an das BG.
2 Aus den Gründen:
[35] "… A. III. 2. Bezüglich der nur vorsorglichen Revisionsangriffe gegen die vom BG zuerkannten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weist der Senat auf Folgendes hin:"
[36] Die Revision hat keinen Erfolg mit ihrem Einwand, es bestehe allenfalls Anspruch auf Ersatz einer Gebühr gem. Nr. 2302 VV RVG, weil es sich bei dem vorgerichtlichen Schreiben des Klägervertreters v. 21.11.2008 um ein vorformuliertes Massenschreiben gehandelt habe. Bei dem Anspruchsschreiben handelt es sich offensichtlich nicht um ein solches “einfacher Art' (vgl. Jungbauer in Bischof, RVG, 5. Aufl., VV 2302 Rn 6; Hartmann, KostG, 42. Aufl., VV 2302 Rn 3 m.w.N.). Im Übrigen kommt es nicht nur auf die tatsächlich entfaltete Tätigkeit des Rechtsanwalts, sondern maßgeblich auf Art und Umfang des erteilten Mandats an (BGH NJW 1983, 2451, 2452 zu § 120 Abs. 1 BRAGO).
[37] Der Revision ist allerdings zuzugeben, dass das Anspruchsschreiben auch auf einem Mandat zur gerichtlichen Forderungsdurchsetzung beruhen könnte und in diesem Fall durch die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG abgegolten wäre (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 RVG; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., VV 2300, 2301 Rn 6; Onderka/Wahlen in Schneider/Wolf, AnwaltKommentar RVG, 6. Aufl., VV Vorb. 2.3 Rn 12 f. m.w.N.). Ob auch eine Verfahrensgebühr [Anm. der Schriftleitung: gemeint ist eine Geschäftsgebühr] nach Nr. 2300 VV RVG entstanden ist, hängt wiederum von Art und Umfang des vom Zedenten erteilten Mandats ab, wozu der Kl. bislang noch nicht ausreichend vorgetragen hat. Ein nur bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG, entgegen der Auffassung der Revision, allerdings nicht entgegen (BGH NJW 1968, 2334, 2335; OLG Celle JurBüro 2008, 319; OLG Hamm NJW-RR 2006, 242; Jungbauer in Bischof, RVG, 5. Aufl., Vorbem. 2.3 VV Rn 27; Schons in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., 2300 VV Rn 18; a.A. OLG München, WM 2010, 1622, 1623; Hartmann, KostG, 42. Aufl., VV 2300 Rn 3).
[38] Der Revision ist des Weiteren zuzugeben, dass ein Schädiger nach der st. Rspr. des BGH nur jene durch das Schadensereignis verursachten Rec...