AEUV Art. 267; Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 Art. 8 Abs. 2 Art. 11 Abs. 2, Abs. 4; StVG § 2 § 3; FeV § 11 Abs. 1 § 29 § 46 § 47 § 73; Anlage 4 zur FeV
Leitsatz
Vorlage zur Frage, ob die Entziehung einer in Österreich erteilten EU-Fahrerlaubnis durch deutsche Behörden bei fehlendem Wohnsitz im Inland zulässig ist, oder ob insofern eine ausschließliche Zuständigkeit des Ausstellerstaats besteht.
VG Sigmaringen, Beschl. v. 30.4.2013 – 4 K 133/13
Sachverhalt
Die Kl., eine österreichische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Österreich, ist im Besitz einer österreichischen Fahrerlaubnis. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurden Anzeichen für Cannabiskonsum festgestellt. Die anschließende Untersuchung der Blutprobe ergab einen THC-Wert von 18,8 ng/ml und einen THC-COOH-Gehalt von 47,4 ng/ml. Sie wehrt sich nun gegen die daraufhin erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis durch die deutsche Verkehrsbehörde.
Die auf Ersuchen des VG informierte österreichische Fahrerlaubnisbehörde (Bezirkshauptmannschaft B.) erklärte, dass sie wegen der Drogenfahrt nichts unternehmen werde. Der festgestellte hohe psychoaktive THC-Wert und der THC-COOH-Gehalt von 47,4 ng/ml gebiete keine andere Bewertung, da es, im Gegensatz zu Alkohol, keine Grenzwerte gebe. Die österreichische Fahrerlaubnisbehörde schreite fahrerlaubnisrechtlich ausschließlich dann ein, wenn ärztlich festgestellte Beeinträchtigungen durch erfolgten Drogenkonsum vorlägen oder Hinweise auf eine Drogenabhängigkeit bekannt würden. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, weshalb bezüglich der Drogenfahrt der Kl. in Deutschland am 11.5.2012 von den österreichischen Behörden nichts unternommen werde.
Für das VG stellt sich die Vorlagefrage zum EuGH (Art. 267 AEUV), ob die nach der 3. Führerscheinrichtlinie gemeinschaftsrechtlich sich ergebende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine einer nationalen Regelung der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehe. Nach dieser nationalen Regelung muss das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nachträglich auf dem Verwaltungswege aberkannt werden, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis mit dieser in Deutschland ein Kfz unter Einfluss illegaler Drogen führt und in der Folge, nach den deutschen Bestimmungen, seine Fahreignung nicht mehr besteht. Nach Ansicht des VG ist nicht hinreichend geklärt, ob der Mitgliedstaat, auf dessen Territorium Verkehrsverstöße begangen würden, aus denen sich Anhaltspunkte für Fahreignungszweifel ergeben würden, gegen den Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Ausland fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen ergreifen könne.
Tenor:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über den Führerschein zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht die aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG sich ergebende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine einer nationalen Regelung der Bundesrepublik Deutschland entgegen, nach der das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nachträglich auf dem Verwaltungswege aberkannt werden muss, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis mit dieser in Deutschland ein Kfz unter dem Einfluss illegaler Drogen führt und in der Folge, nach den deutschen Bestimmungen, seine Fahreignung nicht mehr besteht?
2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist, gilt dies auch, wenn der Ausstellerstaat in Kenntnis der Drogenfahrt untätig bleibt und die vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis ausgehende Gefahr daher weiter besteht?
3. Falls die Frage 1 zu verneinen ist, darf die Bundesrepublik Deutschland die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, von der Erfüllung der nationalen Wiedererteilungsvoraussetzungen abhängig machen?
4. a. Vermag der Vorbehalt der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG ein fahrerlaubnisrechtliches Vorgehen eines Mitgliedstaaten anstelle des Ausstellerstaats zu rechtfertigen? Lässt der Vorbehalt zum Beispiel die nachträgliche Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, durch eine strafrechtliche Sicherungsmaßregel zu?
b. Wenn Frage 4 a bejaht wird, ist, unter Berücksichtigung der Anerkennungspflicht, für die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, der die Sicherungsmaßregel verhängende Mitgliedsstaat oder der Ausstellerstaat zuständig?
2 Aus den Gründen:
"… II. … A. Erforderlichkeit"
Die Vorlage zur Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG ist erforderlich i.S.d. Art. 267 AEUV, nachdem die Entscheidung über die vorliegende Anfechtungsklage maßgeblich von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt. Nach den nationalen Bestimmungen wäre die Klage abzuweisen, w...