SGB VII § 104 Abs. 1 S. 1 § 106 Abs. 1 § 106 Abs. 3 Fall 3 § 108 Abs. 1a
Leitsatz
1. Zum Vorliegen der "Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation" als Voraussetzung einer gemeinsamen Betriebsstätte.
2. Eine Bindung gem. § 108 Abs. 1 SGB VII besteht nicht hinsichtlich der Frage, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt.
BGH, Urt. v. 22.1.2013 – VI ZR 175/11
Sachverhalt
Die klagende Berufsgenossenschaft und Unfallversicherung für das Unternehmen G Bau GmbH & Co KG macht Schadensersatzansprüche aus einem Unfall des bei ihr versicherten und bei dem Unternehmen beschäftigten Geschädigten geltend. Die G Bau GmbH u. Co KG war damit beauftragt, Straßenbauarbeiten auf einer Baustelle am Ende einer Straße durchzuführen. Der Geschädigte führte am Unfalltag Teer- und Asphaltierarbeiten durch. Der bei der Bekl. zu 1) beschäftigte Bekl. zu 2) hatte den Auftrag, benötigtes Füllgut mit einem bei der Bekl. zu 3) haftpflichtversicherten Lkw anzuliefern, dessen Halterin die Bekl. zu 1) war. Der Bekl. zu 2) fuhr mit dem mit Bitumen und Teer beladenen Lkw rückwärts in die Straße ein, an deren Ende das Ladegut abgeliefert werden sollte. Der Bekl. zu 2) setzte mehrere hundert Meter auf der schmalen Straße zurück, ohne sich eines Einweisers zu bedienen. Er übersah dabei zwei am rechten Fahrbahnrand geparkte Lkw und fuhr auf den einen auf, der gegen den dahinter abgestellten Lkw geschoben wurde. Zwischen beiden Lkw stand der Geschädigte, der eingequetscht wurde und schwere Verletzungen erlitt.
Die Kl. hat Ersatz der für den Geschädigten erbrachten Aufwendungen und den Ausspruch der Feststellung begehrt, dass die Bekl. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die weiter entstandenen und zukünftig entstehenden Aufwendungen aus dem Arbeitsunfall zu ersetzen. Das OLG hat auf die Berufung der Bekl. das weitgehend stattgebende Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zugunsten der Bekl. die Haftungsprivilegierung wegen eines Unfalls auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eingreife. Die von dem BG zugelassene Revision der Kl. führte zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung der Berufung der Bekl..
2 Aus den Gründen:
[9] "… Das LG hat der Kl. zu Recht gem. § 116 Abs. 1 SGB X, § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 9 Abs. 5 StVO den geltend gemachten Anspruch im Umfang der Tenorierung zugesprochen. Entgegen der Auffassung des BG liegt keine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII vor, welche eine Haftungsprivilegierung nach §§ 104, 105 SGB VII oder nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses rechtfertigen könnte."
[10] 1. Nach der gefestigten Rspr. des erkennenden Senats erfasst der Begriff der “gemeinsamen Betriebsstätte' betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. Senatsurt. v. 17.10.2000 – VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331, 336; v. 24.6.2003 – VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 207 f.; v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216 f.; v. 17.6.2008 – VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn 19; v. 1.2.2011 – VI ZR 227/09, VersR 2011, 500 Rn 7; v. 10.5.2011 – VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn 12). § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine “gemeinsame' Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als “dieselbe' Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als “gemeinsame' Betriebsstätte rechtfertigt (vgl. Senatsurt. v. 23.1.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; v. 14.9.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 f.; v. 8.6.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn 14; v. 1.2.2011 – VI ZR 227/09, a.a.O.; v. 10.5.2011 – VI ZR 152/10, a.a.O.; v. 11.10.2011 – VI ZR 248/10, VersR 2011, 1567 Rn 9).
[11] 2. Zwar legt das BG der Prüfung die zutreffende Definition der gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugrunde. Es gibt auch zutreffend die Merkmale wieder, die nach st. Rspr. des erkennenden Senats für ...