Im verwaltungsbehördlichen Fahrerlaubnisverfahren gilt der sog. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Das gleiche gilt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das Phänomen des Führerscheintourismus ist inzwischen allgemein bekannt. Vor allem solche Personen, die im Inland fahrerlaubnisrechtlich negativ aufgefallen sind, erwerben im benachbarten EU-Ausland unter erleichterten Bedingungen eine Fahrerlaubnis, ohne ihren Wohnsitz tatsächlich dorthin zu verlegen. Oft lassen es ausländische EU-Fahrerlaubnisbehörden ausreichen, dass der Betroffene sich im Ausstellermitgliedstaat angemeldet hat und tragen dann einen im Ausstellermitgliedstaat gelegenen Wohnsitz in den Führerschein ein.
Vor diesem Hintergrund kann es sich der Fahrerlaubnisbehörde oder einem Gericht bei sich aus dem Akteninhalt und/oder dem Vorbringen oder sonstigen Erklärungen des Betroffenen ergebenden Indizien oder sonstigen Anhaltspunkten dafür, dass es sich um den Einzelfall eines Führerscheintouristen handelt, aufdrängen, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt weiter aufzuklären. Diesen Rechtsstandpunkt vertreten jetzt auch der VGH Mannheim und das OVG Münster. Anhaltspunkte können sein: Der Betroffene ist durchgehend in Deutschland gemeldet, ohne dass sich eine Erklärung dafür aufdrängt, warum er zumindest vorübergehend zwei Wohnsitze hat; der Betroffene ist bei einer polizeilichen Kontrolle nicht in der Lage, seine im Führerschein eingetragene (ausländische) Adresse zu nennen; sämtliche Unterlagen der Führerscheinakte des Ausstellermitgliedstaats nennen einen deutschen Wohnsitz des Betroffenen, nur im Führerscheindokument selbst ist ein Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat eingetragen; der Ausstellermitgliedstaat erklärt sinngemäß, das Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes im eigenen Hoheitsgebiet nicht geprüft zu haben oder das Einwohner- oder Ausländerregister des Ausstellermitgliedstaats dokumentiert einen Aufenthalt des Betroffenen erst ab (oder nur für) einem (oder einen) Zeitpunkt, der nach (oder vor) der Ausstellung des ausländischen Führerscheins liegt. Ermittlungen ins Blaue hinein sind demgegenüber nicht veranlasst.
Ein Widerspruch zu Unionsrecht besteht insoweit nicht. Der EuGH hat entschieden, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, die Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, wenn sich der Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip zwar nicht aus dem Führerschein selbst, aber aus anderen, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt. Er betont sogar die Verpflichtung der Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats, zu prüfen, ob der Inhaber einer im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis zurzeit des Erwerbs seines Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat hatte.
Die Indizien oder sonstigen Hinweise, die die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts bringen können, müssen nicht vom Ausstellermitgliedstaat selbst herrühren. Der EuGH hat entschieden, dass der Aufnahmemitgliedstaat im Zusammenhang mit der Anerkennung der Gültigkeit der von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis nicht auf solche Informationen beschränkt ist, die der Ausstellermitgliedstaat in den Führerschein aufnimmt oder sonst von sich aus zur Verfügung stellt. Die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats sind nach dieser Entscheidung berechtigt, von sich aus Informationen von einem anderen Mitgliedstaat einzuholen. Insbesondere ein Gericht kann alle Umstände des Rechtsstreits berücksichtigen, mit dem es befasst ist.
Demgegenüber müssen die Informationen, die die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht zu dem Schluss bringen, dass ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis vorliegt, im Kern vom Ausstellermitgliedstaat stammen. Nach Eingang der eingeholten Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat müssen Behörde und Gerichte beurteilen, ob diese Informationen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH "unbestreitbar" in dem Sinn sind, dass sie belegen, dass der Inhaber der fraglichen Fahrerlaubnis im Zeitpunkt ihrer Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaat hatte. Nach der Rechtsprechung liegt Unbestreitbarkeit dann vor, wenn das Fehlen eines Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat so sehr wahrscheinlich ist, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt.