Einführung
Die folgende Übersicht zum Verwerfungsurteil und zur Anwesenheitspflicht des Betroffenen in Bußgeldsachen im Jahr 2012 knüpft an die Übersicht über die Jahre 2010/2011 (zfs 2011, 424 ff.) an. Es kommen viele verschiedene Aspekte zur Sprache, wobei die Oberlandesgerichte an bestimmte Themen scheinbar regelmäßig erinnern müssen. Andererseits finden sich aber auch spannende neue Problemfelder, deren Anwendung durch die Amtsgerichte aufmerksam zu beobachten sein wird. Die meiner Ansicht nach wichtigste Frage ist diesbezüglich die Pflicht zur Entbindung bei drohendem Fahrverbot, wenn also der Betroffene eigentlich durch weitere eigene Angaben seine Position verbessern könnte (s.u. C.).
A. Antragstellung
Der Antrag, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, kann durch den mit einer besonderen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger zulässigerweise noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach dem Aufruf zur Sache gestellt werden, bevor zur Sache selbst verhandelt worden ist. Dies dürfte mittlerweile gefestigte Rechtsprechung sein.
B. Die Entbindungsentscheidung
Die Ablehnung eines Entbindungsantrags nach § 73 OWiG ist selbstständig nicht anfechtbar, wohingegen die Anfechtung einer Ablehnung einer Terminsverlegung mittlerweile in Ausnahmefällen angreifbar ist.
Interessant, denn hochgradig praktisch virulent, war eine Entscheidung des KG zur Frage des Umfangs der Entbindung des Betroffenen: Wird die Hauptverhandlung unterbrochen, befreit die einmal erfolgte Entbindung den Betroffenen auch für nachfolgende Fortsetzungstermine von seiner Präsenzpflicht, weil es sich bei einem Fortsetzungstermin lediglich um einen unselbstständigen zeitlichen Abschnitt einer – dann mehrtägigen – Hauptverhandlung handelt. Die Entbindung bezieht sich zwar immer nur auf eine konkrete Hauptverhandlung und wird mit Terminsverlegung oder Aussetzung für den Folgetermin unwirksam. Bei einer bloßen Unterbrechung des Termins ist aber für den Fortsetzungstermin keine weitere Entbindung erforderlich.
Gleich mehrere OLG haben wie auch in den Jahren zuvor darauf hinweisen müssen, dass die Entscheidung über die Entbindung des Betroffenen nicht im Ermessen des Gerichts steht.
C. Anwesenheitspflicht des Betroffenen – Anwesenheitsrecht des Betroffenen
Die Anwesenheit ist dann erforderlich, wenn der Betroffene identifiziert werden soll, wenn die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen zur Sachaufklärung geboten ist oder wenn ins Strafverfahren übergegangen werden soll. Die Möglichkeit, dass sich Zeugen an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern, wenn sie den Betroffenen in der Hauptverhandlung sehen, genügt nicht zur Ablehnung eines Entbindungsantrags.
Interessanterweise hat sich das OLG Düsseldorf innerhalb weniger Monate zwei Mal mit dieser Thematik befasst, aber zwei verschiedene Ergebnisse gefunden: einmal folgt es explizit dem KG, aber in einer zeitlich vorgehenden Entscheidung wird die Anwesenheit des Betroffenen sehr wohl verlangt: Wird dem Betroffenen vorgeworfen, als Führer eines Kraftfahrzeugs verbotswidrig ein Mobiltelefon benutzt zu haben, so ist die Ablehnung des Antrags auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der vier Monate nach der Tat stattfindenden Hauptverhandlung nicht zu beanstanden, wenn ein Polizeibeamter den Tatvorwurf bezeugen soll, die Feststellung, ob der Betroffene verbotswidrig mobil telefoniert hat, also maßgeblich davon abhängt, ob sich der Zeuge konkret daran erinnert, dass er gesehen hat, dass der Betroffene ein Mobiltelefon bedient hat. Dazu muss er den Betroffenen unmittelbar identifizieren. Bereits dieser Umstand rechtfertigt die Annahme, die Anwesenheit des Betroffenen sei erforderlich, soweit das OLG Düsseldorf. Das OLG Bamberg hat demgegenüber die Anwesenheit des Betroffenen zur Frage des Handyverstoßes nicht bejaht, ja nicht einmal problematisiert.
Ich halte die Ansicht des OLG Düsseldorf für zumindest angreifbar. Es bedarf eines konkreten Anhaltspunktes, inwieweit sich aus der Anwesenheit des Betroffenen eine (verbesserte) Aufklärung ergeben kann. Vorliegend unterscheidet das OLG Düsseldorf dafür zwischen Verstößen, die nur mittelbar festgestellt werden und bei denen sich der Zeuge deshalb vornehmlich auf einen technischen Vorgang konzent...