StVG § 7 § 18; StVO § 1 Abs. 2 § 2 Abs. 2 § 8; VVG § 86
Leitsatz
1. Hat der Vorfahrtsberechtigte bei einem Abbiegevorgang erkannt, dass der Wartepflichtige sein Vorrecht nicht beachten wird, hat er gefahrvermeidend zu reagieren und den Abbiegevorgang sofort zu unterbrechen.
2. Das Rechtsfahrgebot dient nicht dem Schutz wartepflichtigen Verkehrs aus der untergeordneten Straße.
3. Wer aus einer trichterförmigen erweiterten Einmündung aus einer vorfahrtsberechtigten Straße nach links in eine andere Straße einbiegen will, muss den Mittelpunkt der Trichterbreite rechts umfahren. Unterlässt er dies, kann darin ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVG liegen.
4. Hat sich der Unfall außerhalb des Einmündungsbereichs ereignet, kann darin gleichwohl eine Verletzung des Vorfahrtsrechts durch den wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer liegen, der nach rechts abbiegen will und dabei die Fahrlinie des Vorfahrtsberechtigten, der seinerseits nach links abbiegen will, kreuzt, berührt oder bedrohlich nähert und dadurch der Vorfahrtsberechtigte in seiner Weiterfahrt behindert wird.
5. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Vorfahrtsberechtigten ist bei einer Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen bei der Haftungsabwägung dann zu berücksichtigen, wenn der Vorfahrtsberechtigte beim Ab- und Einbiegen die Gegenfahrbahn ganz oder teilweise mitbenutzt und dadurch in unfallursächlicher Weise die Fahrbahn für den Wartepflichtigen verengt.
6. Das Quotenvorrecht nach § 86 Abs. 1 VVG führt für mit dem Kaskoversicherungsschutz kongruente Schäden (Reparaturkosten, Wertminderung) zur Ersatzpflicht in Höhe des deckungsgleichen Schadens; während die Schädiger den nicht deckungsgleichen Schaden (Unkostenpauschale, Nutzungsausfallentschädigung) nach der Haftungsquote zu entschädigen haben.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Saarbrücken, Urt. v. 1.2.2013 – 13 S 176/12
Sachverhalt
Die Kl. hat die Verurteilung der Bekl. (Fahrer und Halter eines Busses) aus einem Verkehrsunfall infolge der Kollision des Pkw der Kl. mit dem Bus verfolgt. Die Kl. beabsichtigte, aus einer wartepflichtigen Straße in die bevorrechtigte Straße einzubiegen, auf der sich der Bus der Bekl. zu 2) näherte, mit dem der Bekl. zu 1) aus einer trichterförmigen Erweiterung des Einmündungsbereichs nach links in eine andere Straße einbiegen wollte. Die Fahrzeuge kollidierten außerhalb des Einmündungsbereichs. Bei der Haftungsabwägung ging das LG von einer Haftungsverteilung von ¾ zu ¼ zu Lasten der Kl. aus. Die Kl. nahm ihren Kaskoversicherer in Anspruch, der ihre Reparaturkosten bis auf die vereinbarte Selbstbeteiligung von 300 EUR regulierte. Die Kl. hat die Bekl. auf Erstattung ihrer Selbstbeteiligung, die Wertminderung des Fahrzeugs, der Sachverständigenkosten, die Nutzungsausfallentschädigung, der Unkostenpauschale und auf Erstattung der Kosten für die anwaltliche Inanspruchnahme des Kaskoversicherers unter Annahme einer alleinigen Haftung der Bekl. verfolgt.
Das LG hat seiner Berufungsentscheidung die von ihm angenommene Haftungsverteilung begründet und zu den geltend gemachten Schadenspositionen Stellung genommen.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Das AG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl. als auch die Kl. grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17 Abs. 1, 2, 18 StVG einzustehen haben."
a) Die Kl. und die Zweitbeklagte haften als Kfz-Halter nach § 7 Abs. 1 StVG, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies hat die Erstrichterin zutreffend und in der Berufung unangegriffen festgestellt.
b) Den Erstbeklagten trifft die Fahrerhaftung des § 18 Abs. 1 StVG. Danach ist in den Fällen des § 7 Abs. 1 StVG – wie hier – auch der Führer des Kfz zum Schadensersatz nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 StVG verpflichtet. Anderes gilt nur, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Fahrzeugführers verursacht ist (§ 18 Abs. 2 StVG). Das ist hier indes nicht der Fall, da nicht nachgewiesen ist, dass sich der Erstbeklagte in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhalten hat (vgl. hierzu nur Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 18 StVG Rn 4 m.w.N.). Es kann nämlich nicht beweissicher davon ausgegangen werden, dass der Erstbeklagte, nachdem er erkannte, dass die Kl. nicht anhalten würde, den Abbiegevorgang durch sofortiges Anhalten abgebrochen und damit gefahrvermeidend reagiert hat (§ 1 Abs. 2 StVO; vgl. Kammer, Urt. v. 21.10.2011 – 13 S 124/11). Der Erstbeklagte hat zwar ausgeführt, er habe in diesem Moment den Linienbus der Zweitbeklagten zum Stehen gebracht. Der Nachweis eines Stillstands des Busses ist allerdings nicht zu führen, wie sich aus den eindeutigen und in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt, die auch von den Parteien in der Berufung im Kern nicht mehr in Frage gestallt worden sind.
2. Im Rahmen der hiernach gebotenen Haftun...