I. Anfall der Verfahrensgebühr

Die Ausführungen des BGH zur "Ermäßigung" der Verfahrensgebühr sind missverständlich. Die Verfahrensgebühr entsteht nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. In welcher Höhe sie anfällt, richtet sich nach dem einschlägigen Gebührentatbestand im VV RVG. Im Berufungsverfahren entsteht nach Nr. 3200 VV RVG eine 1,6 Verfahrensgebühr. Diese Gebührenvorschrift muss jedoch im Zusammenhang mit Nr. 3201 VV RVG gesehen werden, die in Abs. 1 Nr. 1 ihrer Anmerkung die Fälle der vorzeitigen Beendigung regelt. Aus dem Umkehrschluss zu dieser Vorschrift folgt – was hier auch der XI. ZS des BGH im Ergebnis richtig gesehen hat – dass der Prozessbevollmächtigte die volle Verfahrensgebühr dann verdient, wenn er eine der in Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 VV RVG aufgeführten Tätigkeiten erbracht hat. Hierzu gehört das Einreichen eines Schriftsatzes mit Sachvortrag oder Sachantrag, wie hier der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Bekl. v. 20.7.2012. Hat der Prozessbevollmächtigte die in Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 aufgeführten Tätigkeiten hingegen nicht entfaltet, entsteht ihm – und zwar von Anfang an – nur eine 1,1 Verfahrensgebühr.

Eine Ermäßigung einer bereits entstandenen Gebühr kommt – wie sich aus § 15 Abs. 4 RVG ergibt – unter keinen Umständen in Betracht. Ist somit – wie hier – dem Prozessbevollmächtigten der Bekl. für das Einreichen seines Schriftsatzes mit Sachantrag die 1,6 Verfahrensgebühr entstanden, können nachträgliche Ereignisse weder zum völligen Wegfall noch auch nur zur Ermäßigung dieser Verfahrensgebühr führen.

II. Erstattungsfähigkeit

Mit seinem Beschluss hat sich hier der XI. ZS des BGH der Auffassung des XII. ZS des BGH (RVGreport 2009, 274 (Hansens) = AGS 2009, 313 = JurBüro 2009, 432) und des V. ZS des BGH (RVGreport 2014, 74 (ders.) = zfs 2014, 45 mit Anm. Hansens = AGS 2014, 94) angeschlossen.

Der VI. ZS des BGH hat die in seinem Beschl. v. 3.7.2007 (RVGreport 2007, 427 (ders.) = AGS 2007, 537 = JurBüro 2008, 35) vetretene gegenteilige Auffassung in seinem Beschl. v. 13.7.2010 (RVGreport 2010, 431 (ders.) = AGS 2010, 513 = JurBüro 2010, 649) wieder aufgegeben.

Nach der somit einhelligen Rspr. der bisher mit der vorliegenden Fallgestaltung befassten Zivilsenate des BGH ergibt sich somit Folgendes:

Zwar ist es für den Rechtsmittelgegner nicht notwendig, sogleich nach Zustellung der Rechtsmittelschrift, die keine Sachanträge und/oder keine Begründung enthält, einen die volle Verfahrensgebühr auslösenden Zurückweisungsantrag zu stellen.
Jedoch erweist sich dieser verfrüht gestellte Zurückweisungsantrag im Nachhinein als notwendig, wenn die Rechtsmittelbegründung des Gegners später eingeht. Zutreffend verweist der XI. ZS des BGH darauf, es wäre nur eine bloße Förmelei, wenn der Rechtsmittelgegner aus erstattungsrechtlichen Gründen gehalten wäre, nach Eingang der Rechtsmittelbegründung seinen Zurückweisungsantrag wiederholen zu müssen.

VorsRiLG a.D. Heinz Hansens

zfs 6/2015, S. 347 - 349

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