ZPO § 91 Abs. 1 S. 1 § 522 Abs. 2 S. 2 § 516 Abs. 3; VV RVG Nr. 3200 Nr. 3201 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz
Reicht der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten nach Eingang der keine Berufungsbegründung enthaltenden Berufungsschrift einen Schriftsatz mit Berufungszurückweisungsantrag ein, ist die hierdurch angefallene 1,6 Verfahrensgebühr dann erstattungsfähig, wenn der Berufungskläger sein Rechtsmittel später begründet und später – auf den Hinweis des BG – wieder zurücknimmt. Es wäre nämlich eine unnötige Förmelei, vom Berufungsgegner zu fordern, nach Eingang der Berufungsbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einzureichen, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen. Somit kommt es für die Frage der Erstattungsfähigkeit nicht auf die zeitliche Reihenfolge der jeweiligen Anträge an.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 30.9.2014 – XI ZB 21/13
Sachverhalt
Die Kl. hatte gegen das ihre Klage abweisende Urteil des LG am 13.7.2012 Berufung eingelegt. Hieraufhin bestellte sich der Prozessbevollmächtigte der Bekl. am 20.7.2012 für die zweite Instanz und beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Die Kl. begründete ihre Berufung am 17.9.2012. Auf Hinweis des BG gem. § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO vom 19.10.2012 nahm die Kl. ihre Berufung zurück. Das OLG München hat der Kl. die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Hieraufhin hat die Beklagte als Kosten der zweiten Instanz die Festsetzung einer 1,6 Verfahrensgebühr nebst Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer beantragt. Der Rechtspfleger des LG hat diesem Antrag entsprochen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kl. hat das OLG München zurückgewiesen und in seinem Beschluss die Rechtsbeschwerde zugelassen. Dieser Beschluss ist den Prozessbevollmächtigten der Parteien von der Geschäftsstelle des OLG formlos mitgeteilt worden. Die gegen die Entscheidung des OLG gerichtete Rechtsbeschwerde der Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] "… II. 1. Das Beschwerdegericht (JurBüro 2014, 80 = RPfleger 2014, 228) hat in seiner Entscheidung ausgeführt, die Bekl. sei berechtigt gewesen, einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Entsprechend seien die ihr dadurch entstandenen Kosten in voller Höhe einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr von der Kl. zu ersetzen. Dass die Bekl. einen Sachantrag gestellt habe, bevor die Kl. ihre Berufung begründet habe, sei ohne Bedeutung, weil die Kl. anschließend noch eine Begründung eingereicht habe. Gleichfalls bedeutungslos sei der Umstand, dass das Berufungsverfahren nach Vorlage der Berufungsbegründung auf Hinweis des BG nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO durch Rücknahme erledigt worden sei."
[6] 2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde vergeblich.
[7] a) Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie ist insb. rechtzeitig eingelegt worden. Die vom Beschwerdegericht verfügte formlose Mitteilung des angefochtenen Beschlusses konnte die Notfrist des § 575 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht in Lauf setzen. Der Zustellungsmangel ist nicht nach § 189 ZPO geheilt, weil eine Heilung nach dieser Vorschrift voraussetzt, dass das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt hat (BGH BGHZ 188, 128 Rn 42). Das vom Prozessbevollmächtigten der Kl. in der Beschwerdeschrift der Sache nach abgegebene Empfangsbekenntnis vermag den mangelnden Zustellungswillen des Gerichts nicht zu ersetzen (BGH WM 2004, 598, 599). Im Übrigen wäre die Beschwerdefrist selbst dann gewahrt, wenn sich die Kl. an dieser Angabe festhalten lassen müsste (vgl. BGH, Beschl. v. 24.7.2008 – VII ZB 7/08, juris Rn 7).
[8] b) Die Rechtsbeschwerde ist aber in der Sache unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen für die Vertretung der Bekl. im Berufungsverfahren die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG als erstattungsfähig angesehen.
[9] aa) Der Bekl. sind nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 VV RVG und Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 RVG Kosten in Höhe einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr für ihren Prozessbevollmächtigten entstanden. Nach Nr. 3201 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG ermäßigt sich die Verfahrensgebühr zwar bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags, wozu auch die Beendigung durch Rücknahme der Berufung gehört, auf eine 1,1-fache Gebühr. Hat der Rechtsanwalt aber wie hier – bereits einen Schriftsatz eingereicht, der Sachanträge enthält, kommt eine vorzeitige Beendigung des Auftrags und damit eine Ermäßigung der Gebühr nicht mehr in Betracht (BGH zfs 2014, 45 m. Anm. Hansens = RVGreport 2014, 74 (Hansens)). Nr. 3201 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG ist zudem zu entnehmen, dass allein die Stellung der Sachanträge die volle Verfahrensgebühr auslöst, auch wenn der Schriftsatz des Rechtsmittelgegners keinen Sachvortrag zur Begründung seines Antrags enthält (BGH RVGreport 2009, 74 (Hansens) = AnwBl. 2009, 235 = AGS 2009, 143).
[10] bb) Diese Kosten sind der Bekl. nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO zu erstatten, weil sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Frage, ob aufgewendete Prozesskosten ...