" … 2. Beurteilung durch den Gerichtshof"
a) Grundsätze
Der Begriff Privatleben ist weit und entzieht sich einer abschließenden Definition. Er umfasst die physische und psychische Integrität einer Person und kann zahlreiche Elemente der Identität einer Person enthalten, wie ihren Namen und das Recht am eigenen Bild (s. EGMR, Slg. 2012 = NJW 2012, 1053 = GRUR 2012, 745 Nr. 95 f. – von Hannover/Deutschland Nr. 2), aber auch persönliche Informationen erfassen, von denen der Einzelne berechtigterweise erwarten kann, dass sie ohne seine Zustimmung nicht veröffentlicht werden (s. EGMR, Urt. v. 6.4.2010 – 25576/04, BeckRS 2012, 18735 Nr. 75 – Finkkila ua/Finnland; EGMR, Urt. v. 12.10.2010 – 184/06 Nr. 61 – Saaristo ua/Finnland. Die Veröffentlichung eines Fotos greift in das Privatleben einer Person ein, selbst wenn sie eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ist (s. EGMR, ÖJZ 2005, 276 – Schüssel/Österreich). Umso mehr ist die Aufnahme von Videos ein Eingriff in das Privatleben einer Person.
Das Bild einer Person ist eines der wichtigsten Elemente ihrer Persönlichkeit, denn es zeigt ihre Eigenheiten und unterscheidet sie von ihresgleichen. Das Recht am eigenen Bild gehört also zu den wesentlichen Elementen der Entwicklung der Person. Es hat hauptsächlich das Recht zum Inhalt, über die Verwendung des Bilds zu bestimmen, einschließlich des Rechts, einer Veröffentlichung zu widersprechen, erfasst aber auch das Recht, sich der Aufnahme, dem Aufbewahren und der Vervielfältigung eines Fotos durch andere zu widersetzen. Weil das Bild eines der Charakteristika der Persönlichkeit eines jeden ist, verlangt sein wirksamer Schutz grds. auch die Zustimmung des Betroffenen zur Aufnahme und nicht nur zur Zeit einer möglichen öffentlichen Verbreitung. Wäre es anders, könnte ein anderer ein wesentliches Element der Persönlichkeit halten, ohne dass der Betroffene auf seine mögliche spätere Verwendung Einfluss nehmen könnte (s. mutatis mutandis EGMR, Urt. v. 15.1.2009 – 1234/05, BeckRS 2012, 18733 Nr. 40 [franz. Fassung] – Reklos u. Davourlis/Griechenland).
Art. 8 EMRK zielt im Wesentlichen darauf ab, den Einzelnen gegen willkürliche Eingriffe des Staates zu schützen, verpflichtet aber den Staat nicht nur, solche Eingriffe zu unterlassen. Zu den negativen Verpflichtungen können positive kommen, die sich aus dem Gebot der wirksamen Achtung des Privat- und Familienlebens ergeben. Dazu können Maßnahmen zum Schutz des Privatlebens sogar im Verhältnis zwischen Privatpersonen gehören (s. EGMR, Slg. 2013 = NJW 2014, 607 Nr. 78 – Söderman/Schweden). Das gilt auch für den Schutz des Rechts am eigenen Bild gegen Missbrauch durch andere (s. EGMR, Slg. 2004-VI Nr. 57 = NJW 2004, 2647 = GRUR 2004, 1051 – von Hannover/Deutschland).
Die Wahl der Mittel, mit denen die Einhaltung von Art 8 EMRK in den Beziehungen zwischen Privatpersonen sichergestellt werden soll, fällt grds. in den Ermessensspielraum des Staates, einerlei, ob es sich um positive oder negative Pflichten handelt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Achtung des Privatlebens sicherzustellen, und die Art der staatlichen Verpflichtung hängt von dem Aspekt des Privatlebens ab, um den es geht (s. EGMR, 1985, Serie A, Bd. 91 Nr. 24 = NJW 1985, 2075 – X u. Y/Niederlande; EGMR, Slg. 2003-III Nr. 46 = NJW 2003, 2145 = FÜR 2003, 368 – Odièvre/Frankreich).
Wenn es um die Verbreitung persönlicher Daten geht, muss den zuständigen staatlichen Behörden und Gerichten ein gewisser Spielraum eingeräumt werden, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den einander widersprechenden öffentlichen und privaten Interessen herzustellen. Der Ermessensspielraum geht aber mit einer europäischen Überwachung einher (s. EGMR, 1993, Serie A, Bd. 256 Nr. 55 = ÖJZ 1993, 532 – Funke/Frankreich) und sein Umfang hängt von der Art und dem Gewicht der betroffenen Interessen und der Schwere des Eingriffs ab (s. EGMR, Slg. 1997-I, S. 348; Nr. 99 = ÖJZ 1998, 152-Z/Finnland).
b) Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Verbreitung von Bildern aus dem täglichen Leben des Bf., sondern ausschließlich und die Aufnahme und spätere Verwendung solcher Aufnahmen als Beweismittel in einem Zivilprozess [s. anders EGMR, Slg. 2005-I – Sciacca/Italien). Sie waren auch nicht zur Veröffentlichung bestimmt (s. anders EGMR, Slg. 2003-I Nr. 9 = ÖJZ 2004, 651 – Peck/Vereinigtes Königreich) und sind auch nicht systematisch oder ständig aufgenommen worden (s. anders EGMR, Slg. 2000-V Nr. 43 f. = ÖJZ 2001, 74 – Rotarn/Rumänien).
Zu prüfen ist also, ob das Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens verletzt worden ist, obwohl die umstrittenen Aufnahmen nicht verbreitet worden sind (s. mutatis mutandis EGMR, Urt. v. 15.1.2009 – 1234/05, BeckRS 2012, 18733 Nr. 38 [franz. Fassung] – Reklos u. Davourlis/Griechenland). Bei der Überwachung ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofs, sich an die Stelle der staatlichen Behörden und Gerichte zu setzen, er muss vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände fe...